Ach Sommer! Ach Loch!

Das sogenannte Sommmerloch ist der beste Beweis für die Existenz einer kollektiven Konstruktion von Realität: Wir haben nun mal aus unserer Sommer-Perspektive des Planeten entschieden, dass derzeit nix Relevantes passiert. Unsere Medien bestärken uns in dieser kulutrell gewachsenen Illusion, schließlich will der Redaktör auch mal wie jeder andere Bürger zum Baggersee nach Hawai (Kann man später übrigens auch noch ganz klasse drüber schreiben, so nach dem Modell: „Ein perfektes Wochenende am Baggersee in Hawai“).

Ganz toll ist übrigens auch, dass man die Sommerloch-Philosophie medienmäßig ganz unabhängig von der Jahreszeit auf andere Zeiten und Themen übertragen kann. So ist Fukushima beispielsweise offenkundig in ein all-time-Sommerloch gefallen, und man muss selbst im Netz lange suchen, um Interessantes und Aktuelles zur desaströsen Lage zu finden. Als Beispiel: http://www.textinitiative-fukushima.de. Bei google endlos hinten, nach all den wenig aussagekräftigen Seiten von etablierten Medien…

Apropos google: Da sorgt sich doch die SZ darüber, dass google die Menschen so „profiled“, dass zwei unterschiedliche Exemplare der Gattung trotz gleichlautender Suchanfrage ein jeweils ganz anderes Angebot erhalten, was die Reihenfolge der vorgeschlagenen Sites betrifft. Glaub ich wohl, nur die fundamentale Selektion ist bei beiden (und allen) immer die gleiche: Zuerst kommen die Seiten derjenigen, die für google als Werbekunden und Zahler relevant sind und viel später alles andere. Mit anderen Worten: google „individualisiert“ mich im Hinblick auf meine Funktion als Konsument. Aus. Und das ist nicht nur legitim, sondern auch system-logisch: Warum glaubt irgend jemand, dass ein Profit-Unternehmen dazu da sein oder ein Interesse daran haben sollte, mich als Bürger, eigensinniges Individuum oder in sonst einer aus ökonomischer Sicht eher problematischen oder unattraktiven Rolle zu unterstützen? Sowas können doch eigentlich nur Leute glauben, die einen 70 Kilo schweren Berner Sennerhund halten und den vegan füttern! Oder Journalisten, die sich in Hawai am Baggersee gratis durchfressen, weil sie das Hotel hinterher in ihrem siebzehnten „Ein perfektes Wochenende in…“-Band erwähnen? Oder sind das eh immer die selben? Und gehen die dann eh bald alle mit der gläsernen Münchener Isar-Philharmonie unter, wenn, während der geklonte Karajan Beethovens fünfte (Schicksalssynphonie!) dirigiert, die Prater-Schleuse geöffnet wird und ein unglaubliches Sommergewitter die ganze Stadt reinigend flutet, mitsamt ihren Chardonnayflaschen und Schubecks-Gewürzmischungs-verseuchten Canapees und ersaufen? Und kann man dann die Liste der Abgänge am nächsten Tag gleich googeln oder muss man dann erst lang suchen, weil’s nix zoilt ham dafür?

Sommerloch.

Wenn ein Tag zuende geht, der unverhofft den Sommer zurück und einen in Wallung gebracht hat, dann schätzt man sich glücklich und schreibt so einen freudigen kleinen Blog.
Was trüb und grau begann, wickelte sich langsam wärmend die Waden hoch, das Spiel war ganz Spiel, die Bälle flogen so hoch und weit, und ebenso das Bewußtsein darum, dass es einem gut geht, ohne falsche Scham, und man bereit ist, dieses Gefühl nun öfters zuzulassen – auch wenn es vielen schlechter oder gar schlecht geht. Der Altar des Mitgefühls wird in naher Zukunft keine Selbstverstümmelungen als Opfergaben mehr dargebracht bekommen. Empathisch reversiv ausgedrückt: Das Glück der einen darf auch das Glück der anderen sein.
Euch allen gute eigene Gefühle.

Nachtkritik Scott & Willemijn.

Aus schierer Angst nach 4 Tagen vulkanischer Aktivität die Eruption gedämpft und ausgeschlafen – also falsch – zu beeurteilen, hier eine schnelle Nachtkritik ohne Anspruch auf Vollständigkeit und lediglich aus dem Blickwinkel des frisch aschebewolkten Beobachters.

Als edler Fuhrpark gestandenen Musikkunsthandwerkes im dezent-luxuriösen Ambiente der vorzüglich beschallten Hamburger Kammerspiele aufgefahren, war diese balladeske Soirée eine Klasse für sich und ein showcase dessen, was an gediegenem Sangestalent derzeit in Deutschland auf die Bühne zu bringen ist. In dieser Form unwiederbringlich zusammengestellt und mit schmelzenden Streichern und präzis-leise aufspielender Band adäquat in Szene gesetzt vor ebenso sachkundigem wie begeisterungsfähigem Publikum durch die unbeugsamen RE:PRESENTer.

Scott Alans Kompositionen jedoch tendieren bei aller eingängigen Virtuosität ins weinerliche und haben eine fatale Tendenz zur Selbstähnlichkeit, was auf Dauer und mit allzu wenigen „up-tempo“-Nummern ermüdend wirkt und auch durch seine kontrastierend fröhliche Showman-Attitüde kaum zu kompensieren ist. Ein sehr, sehr begabter Musiker, der seine durchaus vielschichtigen Kompositionen als Therapie und ewiges „coming out“ zelebriert. Grossartige Plattformen für herausragende Sänger sind seine introvertierten, dennoch expressiven Songs allemal – und damit Steilvorlagen für die versammelte Créme von „Orange Blue“, „Stanfour“ und „Hinterm Horizont“.

Willemijn „La Verkaik“ jedoch ist eine Klasse für sich und wird an diesem Abend – ganz Gastgeberin – ihre herausragende Stellung als Europas beste Musical-Interpretin gefestigt haben. Ihre „Range“ ist kaum zu glauben, ihre stimmliche Virtuosität differenziert – ebenso wie ihre maliziöse Fähigkeit, dem ewig gleichen immer neue Facetten abzugewinnen. Sie war und ist der Star des Abends. Gleich die erste Nummer stellt das klar, in der sie die drei geladenen männlichen special guests erfrischend selbstironisch und stimmlich donnernd von der Bühne fegt.

Diese machen gute Miene (und Stimme) zum bösen Spiel. Volkan Baydar, glühend und ganz bei sich als implodierendes Soul-Genie, Serkan Kaya als understated-witziger „Act“ der dieses Namens würdig ist und schliesslich Konstantin Rethwisch mit seiner poppigen Bühnenpräsenz als schnurrende Komfortlimousine.

So rollt der Abend auf gepflegter Fahrbahn dahin, die sanfte Hügellandschaft der seelischen Befindlichkeiten Scott Alans durchmessend, angenehm servo, zeitweilig aufregend aus der Tempo50-Zone in eine Kurve gleitend aber stets musikalisch TÜV-geprüft. Um Missverständnissen vorzubeugen: das war grosses Kino und breite Leinwand kammermusikalisch exquisit dargebracht, mit weiten Wegen, aber doch kein Road Movie, der die eigenen Verzweiflungen zum Vorschein bringt. Mittelbar eine Wohlfühl-Ausfahrt mit den besten Gefährten, die der Cabrio-Musikmarkt zu bieten hat.

Was allerdings das Geheimnis der Veranstalter bleiben wird, ist die Masssnahme, dass man nach ausdauernden Ausritten mit dem SL Flügeltürer samt seiner Hummer-Eskorte ohne Not und selbst in der Schlussnummer darauf verzichtet, die Garagentür zu den bereitstehenden Ferraris, Porsches und Bentleys für ein dieses Namens würdiges Finale zu öffnen, das lange Zeit Branchengespräch geblieben wäre.