Gedankenflüchtling.

Wir schauen uns das also an. Wohlwollend und kritisch. Sehen zu, wie andere erste Massnahmen ergreifen und wir erwarten, zeitnah informiert zu werden, wie sich das entwickelt. Beobachten spontane Hilfsmassnahmen, überforderte Beamte, Politiker, die die Mitte suchen, Gutmenschen mit Zeit zu helfen und Halbherzige, die sich den Gang zur Altkleidersammlung oder den Wertstoffhof ersparen. Mit Karmabonus natürlich. Die vage Hoffnung nährend, später, dann wenn es darauf ankommt, aktiv zu werden; sollten wir je den Arsch hochkriegen. Denn das würde ja bedeuten, zu verzichten. Auf Zeit, Geld, Energie oder Status – von Urlaubstagen nicht zu reden. Also palavern wir über das für & wider von „Wir schaffen das“, über die „Kapazitätsgrenzen“; aber nicht wirklich über die Flüchtlinge selbst. Kennst Du einen persönlich?

Das vornehmliche Problem liegt darin, dass sich Weltparameter, die wir gelernt haben, rasant verschieben. Und sowas ist nicht jedermanns Sache. Erspürt wird das Problem der Auflösung von Nationalstaaten zugunsten grenzenloser Material-, Wirtschafts- und Informations-Ströme schon. Dass der Träger – der Mensch also – auch wie durch eine globale soziale Membran diffundiert, erscheint da nur logisch. Und dass der Krieg ein Dauerzustand ist und bleiben wird in dieser Welt, mag von manchen erahnt werden. Daraus folgt aber im Einzelnen meist ein Gefühl der Hilf- und Machtlosigkeit, dass derart lähmend ist, dass wir uns fragen müssen, ob wir eigentlich noch Anteil haben an unserer Spezies. Oder ob unser Wissen über das, was wir selbst leben uns blind macht für das Schicksal anderer. Blind machen muss. Vor dem Fernseher kann jeder heimlich schluchzen. Und sich an der Hilfsbereitschaft anderer erfreuen auch. Das Ergebnis ist dasselbe: Tränchen verdrücken und sich dann etwas besser fühlen. Wie bei Harry Potters Basilisk: schaust Du ihm direkt in die Augen, bist Du tot. Durch eine Brille, einen Spiegel oder eine Pfütze gesehen, verwandelt er dich nur in Stein.

Die dünne Kruste der Kultur über dem brodelnden Vulkan, den wir unsere Heimat nennen und der mit jeder weiteren Entdeckung aus Astrophysik, Teilchenforschung und Genetik unwahrscheinlicher erscheint, sollte bewahrt bleiben und verteidigt gegen die, die davon profitieren, dass sie weiter ausgehöhlt wird. Was für ein ruchloser Plan ist es nur, dass Menschen andere opfern für ihre politischen Machenschaften? Sie kontigentieren, administrieren, ausweisen, zuweisen, nutzen, benutzen, ausnutzen, versklaven? Oder für puren Profit nicht nur die Menschen sondern dazu noch die Umwelt in der sie leben zerstören? Ihnen damit ihre Zukunft rauben. Und demnach indirekt auch unsere.

Oh ja, wahnsinnig langweilig. Binsenweisheiten. Aber als Entscheidungs-grundlagen sehr wirksam. Und extrem virulent. Auch wenn es eine riesige Gelegenheit ist, Le(e)hrstellen zu besetzen und eine gigantische „business opportunity“ für die Personalwirtschaft ebenso wie für die Waffenhändler. Die paar Rettungsvesten-Händler in Izmir fallen unter die Kategorie „Wertstoffhof“.

Das klingt alles sehr banal aber zur Basis des humanistischen Gedankens sollten wir ab & an zurückkehren um uns zu orientieren. Auch und insbesondere, wenn man sich die „westlichen Werte“ an die Brust heftet – offen oder heimlich. Ich jedenfalls werde mich nunmehr wieder engagieren. Hier, oder in Kambodscha oder anderswo. Manches ist zeitlich opportun, anderes macht gerade in der Fremde Sinn, noch anderes macht … doch auch mal was.

Denn die Ströme sind es, und nicht die Nationen.

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