Fortschritt.

Vor einiger Zeit hat mir ein lieber Freund ein Taschenbuch mit auf die Reise gegeben. Moehringers „Tender Bar“, eine typisch amerikanische Adoleszenz- und Initiationsgeschichte aus der vaterlosen und vatersuchenden Ecke ((also mal ehrlich: Scheißt auf die NEUE DEUTSCHE RECHTSCHREIBUNG, vatersuchend ist nun mal was anderes als Vater suchend /Wo sind denn nu meine Socken schon wieder/:; irgendwann schreibt dann ein verunsicherter junger Mensch dann auch noch sowas wie „die Vater lose Gesellschaft“ und merkt garnicht, dass er damit eine Gesellschaft loser Väter evoziert, was dann aber wieder was ganz anderes ist … und wo war ich jetzt eigentlich stehen ge blieben?)).

Ach ja, der Mr. Moehringer – ein wirklich schönes Buch … schade nur, dass er am Ende doch ein wenig zeitgeistbeflissen ((JAJAJA! Wieder zusammengeschrieben (((und nicht „zusammen geschrieben“!!!))):; eines Tages wird die Welt von endlosproteinkettenähnlichen Adjektiven bevölkert und wir werden alle frei sein!)) moraliniert – aber darum geht es hier ja gar nicht.

Ich hatte mich jedenfalls schon eine Weile vom Text faszinieren lassen, als mir auffiel, dass an dem Buch neben dem Inhalt noch etwas anderes Laune machte: Es war die Machart des Buches selber. Wann bitte gab es das zuletzt, dass Taschenbücher richtig schön sind: angefangen beim Format (das in diesem Falle recht eigentlich das Wort Taschenbuch rechtfertigt – passt in jede Jackentasche, die Seitentaschen der Cargohose sowieso), der Umschlag fest (!!), gut gestaltet, das Papier glatt und gut zu blättern, die Typo grandios und hervorragend lesbar auch für Menschen, die nicht mehr zur Zielgruppe von PRO7 gehören ((Moooment: das war jetzt schon eine arg assysmetrische Opposition. Weil: Zielgruppe von denen eigentlich kaum Zielgruppe von LITERATURverlagen)). Jedenfalls: Mir fielen sofort die alten Taschenbücher ein, die man sich früher nur zähneknirschend gekauft hatte, weil es die Texte sonst in keiner (bezahlbaren) Edition mehr gab. Zumal von diesem Verlag: Ich sag nur: Arno Schmidt! Und die klopapierähnlichen Bögen bis auf den Rand verwaschen bedruckt, so dass man nie wusste, wo man seine Anmerkungen unterbringen sollte. Und nun DAS! Chapeau! Jean Brasse!

Und am Tag danach gleich in die Buchhandlung: Und siehe da: Eine ganze Reihe dieser Art (mit vielen ausgezeichneten Titeln, auf die wir  noch zu Schreiben kommen werden) — und der Entdeckung ganz ähnlicher (wenn auch nicht ganz so gelungener) Konzepte von anderen Verlagen. Ja, was ist jetz da los?

Ich vermute heftig: Dieser Fortschritt verdankt sich dem Fortschritt. Letzterer in Gestalt von eBook und iPad. Sie kriegen Angst vor der elektronischen Konkurrenz und jetzt, ja erst jetzt, besinnen sie sich auf die Merkmale, die ein BUCH von einem eBOOK unterscheiden. Und dabei geht es  überhaupt nicht darum, sich vorzustellen, wie man Zettels Traum auf einem iPad „liest“. (Und auch nicht darum, Zettels Traum überhaupt zu „lesen“.) Da reicht schon ein einfacher Eichendorff, eine schlichte Abhandlung über Quantenphysik oderwasauchimmer. Außerdem: Man sollte doch schon klar beurteilen können, woher das rührt, dass man nach der Lektüre – von, sagen wir, Charlotte Roche – Kopfschmerzen undoder Augentränen bekommt: Vom Text selbst oder von der unverträglichen Materialität des Mediums oder von beidem?

Wie auch immer: Manche werden sagen: Schön, der Fortschritt. Ich denke mir: Warum nicht gleich – also verdammt nochmal viel FRÜHER so!!! Wozu brauchen wir einen Fortschritt, wenn wir’s eh schon viel besser gekonnt haben?

hs

Ein Gedanke zu „Fortschritt.

  1. Also meine Frau sucht ja die Urlaubslektüre nach Titelgestaltung, Typogröße und Haptik aus. Vorsicht: Lächeln nicht zu breit werden lassen, denn: was hat der Wolf dem Hund voraus? Domestizierung funktioniert immer über den Weg des geringsten Widerstandes und also auch die natürliche Attraktion des gedruckten Wortes als urplötzlich geradezu wild anmutenden, verstandesraubenden Objekts (und Besitz) in klarer Überlegenheit zum häuslich-verfügbar gewordenen digitalen Amorphos.
    Stay wild, read books.
    R.

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