Nachtkritik Scott & Willemijn.

Aus schierer Angst nach 4 Tagen vulkanischer Aktivität die Eruption gedämpft und ausgeschlafen – also falsch – zu beeurteilen, hier eine schnelle Nachtkritik ohne Anspruch auf Vollständigkeit und lediglich aus dem Blickwinkel des frisch aschebewolkten Beobachters.

Als edler Fuhrpark gestandenen Musikkunsthandwerkes im dezent-luxuriösen Ambiente der vorzüglich beschallten Hamburger Kammerspiele aufgefahren, war diese balladeske Soirée eine Klasse für sich und ein showcase dessen, was an gediegenem Sangestalent derzeit in Deutschland auf die Bühne zu bringen ist. In dieser Form unwiederbringlich zusammengestellt und mit schmelzenden Streichern und präzis-leise aufspielender Band adäquat in Szene gesetzt vor ebenso sachkundigem wie begeisterungsfähigem Publikum durch die unbeugsamen RE:PRESENTer.

Scott Alans Kompositionen jedoch tendieren bei aller eingängigen Virtuosität ins weinerliche und haben eine fatale Tendenz zur Selbstähnlichkeit, was auf Dauer und mit allzu wenigen „up-tempo“-Nummern ermüdend wirkt und auch durch seine kontrastierend fröhliche Showman-Attitüde kaum zu kompensieren ist. Ein sehr, sehr begabter Musiker, der seine durchaus vielschichtigen Kompositionen als Therapie und ewiges „coming out“ zelebriert. Grossartige Plattformen für herausragende Sänger sind seine introvertierten, dennoch expressiven Songs allemal – und damit Steilvorlagen für die versammelte Créme von „Orange Blue“, „Stanfour“ und „Hinterm Horizont“.

Willemijn „La Verkaik“ jedoch ist eine Klasse für sich und wird an diesem Abend – ganz Gastgeberin – ihre herausragende Stellung als Europas beste Musical-Interpretin gefestigt haben. Ihre „Range“ ist kaum zu glauben, ihre stimmliche Virtuosität differenziert – ebenso wie ihre maliziöse Fähigkeit, dem ewig gleichen immer neue Facetten abzugewinnen. Sie war und ist der Star des Abends. Gleich die erste Nummer stellt das klar, in der sie die drei geladenen männlichen special guests erfrischend selbstironisch und stimmlich donnernd von der Bühne fegt.

Diese machen gute Miene (und Stimme) zum bösen Spiel. Volkan Baydar, glühend und ganz bei sich als implodierendes Soul-Genie, Serkan Kaya als understated-witziger „Act“ der dieses Namens würdig ist und schliesslich Konstantin Rethwisch mit seiner poppigen Bühnenpräsenz als schnurrende Komfortlimousine.

So rollt der Abend auf gepflegter Fahrbahn dahin, die sanfte Hügellandschaft der seelischen Befindlichkeiten Scott Alans durchmessend, angenehm servo, zeitweilig aufregend aus der Tempo50-Zone in eine Kurve gleitend aber stets musikalisch TÜV-geprüft. Um Missverständnissen vorzubeugen: das war grosses Kino und breite Leinwand kammermusikalisch exquisit dargebracht, mit weiten Wegen, aber doch kein Road Movie, der die eigenen Verzweiflungen zum Vorschein bringt. Mittelbar eine Wohlfühl-Ausfahrt mit den besten Gefährten, die der Cabrio-Musikmarkt zu bieten hat.

Was allerdings das Geheimnis der Veranstalter bleiben wird, ist die Masssnahme, dass man nach ausdauernden Ausritten mit dem SL Flügeltürer samt seiner Hummer-Eskorte ohne Not und selbst in der Schlussnummer darauf verzichtet, die Garagentür zu den bereitstehenden Ferraris, Porsches und Bentleys für ein dieses Namens würdiges Finale zu öffnen, das lange Zeit Branchengespräch geblieben wäre.

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