E pluribus unum.

E pluribus unum.

Sinngemäß „aus vielem Eines machen“ – das steht im großen Siegel-Wappen der „Vereinigten“ Staaten von America. Und die sind seit heute morgen entzweiter und von Vereinigung entfernter als je. Viel mehr die beiden inneren Lager statt vieler, und beides aus gutem, nein, schlechtem Grund.

So richtig verstehen können wir es auch deshalb nicht, weil in Europa sowohl die Heterogenität der einzelnen „Staaten“ (sozial, strukturell, kulturell, das mit der Landschaft kennt man ja aus dem Kino) als auch die Zerrissenheit im Inneren des Gebildes, die sich jetzt manifestiert, völlig unterschätzt wird.

Ja, es ist ein Abgrund, der sich da auftut. Und ja, man möchte verzweifeln. Vor allem aber an der eigenen Fehleinschätzung der Ausgangslage, an der bitter enttäuschten Hoffnung, die USA als Ganzes würden sich doch beizeiten besinnen; sie würden doch nicht im Ernst, also nicht wirklich jetzt, oder?
Doch.

Denn wir Europäer vergessen immer wieder, wie es ist (oder wäre), seit Generationen in einem Zwei-Parteien-System zu leben; politische Beurteilungen ausschließlich (und reziprok) in richtig vs. falsch zu fassen, sozusagen in Schwarz/Weiss-Bildern und Freund/Feind-Mustern zu denken. Hier tut sich eine Parallele zum Brexit-Votum auf: auch auf der Insel wurde „nur“ zwischen Yes und No abgestimmt – was gereicht hat, um in der Addition die Frustrierten, Ungebildeten und Angsterfüllten zu einer relevanten, kritischen Masse zu „einen“.

Is he gonna „lock her up“? Will he „build the wall“? Will he „make America Great again“? Erschütterung über die grassierende Ignoranz, den kaum verhohlenen Rassismus und breitärschigen Chauvinismus ist zwar ein verständlicher Reflex und auch mir geht es so, dass ich es kaum fassen kann. Aber Schockstarre und Kopfschütteln hat böse Geister noch nie vertrieben und derlei zivilisatorischer Ekel wird uns nicht einmal kurzfristig weiterhelfen denn wir sind – als Deutsche ebenso wie als Europäer – längst eingebunden, ja abhängig von den übergeordneten Wirtschaftskreisläufen, deren Hauptakteure schon bald nur noch mit den Schultern zucken werden.

So seltsam es klingt, aber die Unzumutbarkeiten der Person Trump sind für uns im alten Europa eher zweitrangig und werden lediglich als Empörungskulisse herhalten müssen, wenn wir um unsere Exporte und die Finanzierung der NATO kämpfen. Leider auch um unsere so fragilen inneren Werte. Denn es gibt auf unserem Kontinent mehr als genug Mitglieder der „Autoritären Internationale“ die sich jetzt schon darauf freuen, unser aller großem Bruder bei der reaktionären Arbeit mit Illegalen, Flüchtlingen und „Schmarotzern“ zuzusehen um ihren Landsleuten dann ein selbstzufriedenes „so macht man das!“ zuzurufen.

Was also ist aus dem „Amerikanischen Traum“ geworden, jetzt, wo die, die daran glaubten und die er (aus unterschiedlichen Gründen übrigens) nie erreicht hat, deutlich und mit den Füßen für einen abgestimmt haben, den sie als Gewinner sehen und auf den sie ihre Resthoffnung projizieren, ihm nicht chancenlos hinterher gelaufen zu sein.

Mittelbar hat die geradezu paradoxe Selbstbezüglichkeit eines Systems, dessen „Traum“ quasi aus Verzweiflung erneuert werden muss (statt sich selbst oder seine Regularien zu reformieren) im solipsistischen Herrn Trump ihren Repräsentanten gefunden. Er wird seinen Gefolgsleuten schon einen „New Deal“ basteln, denn auf Deals versteht er sich. Auch wenn diese mehr mit einem Spiel und Zockerei als mit Reform und Augenmaß zu tun haben.

Einfacher ausgedrückt wählten die, deren Traum nicht / wahrscheinlich nicht / vielleicht nicht in Erfüllung gehen wird denjenigen zu ihrem Anführer, der diesen Traum repräsentiert und nichts anderes kennt, als herbeispekulierten Erfolg aus privilegierter Position heraus.

Noch einfacher: der Niedergang UND die Angst davor wählten den, der behauptet, der Traum existiere noch und er sei das beste Beispiel dafür.
Das hat für eine Mehrheit gereicht, die wir hier in unserem Wohlstandsnest nicht für möglich hielten. Post-faktisch (prä-faschistisch?) und rein emotional wurde dafür gerungen und ein Austausch von Argumenten war nicht vorgesehen. Die Wut auf das Establishment und das tückische Gift der Abgrenzung taten ihr Übriges um einen Erfolg einzufahren, der sich wie die maschinelle Ernte gigantischer Mengen wuchernder Enttäuschung anfühlte. Mutterkorn inbegriffen.

Und das, obwohl die Hoffnung auf eine Genesung des „Rust Belt“ ebenso illusorisch erscheint, wie die, illegale Einwanderer auszuweisen würde mehr Jobs schaffen als die 14 Millionen der Administration Obama oder (quasi gespiegelt) der befürchtete Verlust des Sozialstatus einer vergleichsweise wohlhabenden unteren Mittelschicht, deren vorwiegende Malaise aus diffusen Abstiegsängsten und Skepsis gegenüber „den Eliten“ besteht.

Schade, dass wir die schöne Grafik nie sehen werden, wie hoch die zahllosen Trump-Bauten heute wären, wenn man alle illegalen Arbeiter auf deren Baustellen „physisch“, also in Stockwerke umrechnen und abziehen würde. Oder die, um wieviel die Investments der zweiten Gruppe schrumpfen würden, wenn sie nicht an der Konversion ihrer Ersparnisse in windige Immobilien und Bauherrenmodelle teilgehabt hätten.

Für mich persönlich ist diese Entwicklung ein weiterer, schwerwiegender Grund, die „westliche“ Welt noch schwerer erträglich zu finden. Und möglicherweise ein Anlass dazu, sich weitergreifende Sorgen um das angelsächsische Gesellschaftsmodell eines entfesselten, unsolidarischen Kapitalismus zu machen, der in seinem desillusionierenden Niedergang gefährliche Autoritäten gebiert, die keinen anderen sozialen und kulturellen Hintergrund als Durchsetzungsvermögen, Gewinnmaximierung und das große, charity-sedierte Glück einer kleinen Gewinnerschar kennen.

Bleibt zu hoffen, dass sich die nun „durchregierende“ Schar republikanischer Berater die Chance nicht entgehen lässt, das gefährliche Individuum in ihrer Mitte unter Kontrolle zu halten und die Union (denn eine Nation ist es nicht oder nicht mehr) nicht weiter zu spalten indem sie die Errungenschaften der Ära Obama samt und sonders rückgängig macht. Besondere Sorgen mache ich mir in diesem Zusammenhang um die Pariser Verträge zum Klimawandel. Ein simpler Federstrich und nach 4 Jahren … mir die Sintflut. Auch um „Obamacare“, der singulär solidarischen Reform dieser nun bereits verblassenden Zeit des „slow jamming the news“. Oder sollte ich sagen „erblondeten“ Zeit? Ach, tempi passati, ebenso wie die mögliche Koalition in Syrien, jetzt schon.

Womit wir beim „Whip of the Majority“ und seiner entscheidenden Rolle wären (ja, den gibt es wirklich und er kann über einen Deutschen Fraktions- vorsitzenden nur müde lächeln) … und damit natürlich bei House of Cards und Frank Underwood bzw. Kevin McCarthy. Vielleicht klären Sie es ja irgendwann auf bewährte Art & Weise. Falls er völlig aus dem Ruder läuft, that is.

Jetzt also noch ein bisschen Kopfschütteln,
dann einen heißen Kakao,
und endlich die dritte Staffel.
Binge watching gegen binge voting, sozusagen.
Klopf, klopf!

5 Gedanken zu „E pluribus unum.

  1. Mal kurz nachdenken: Ein Chauvinist und Rassist, ein windiger Unternehmer und Populist, der an Zynismus kaum zu übertreffen ist? Unverhohlene Drohungen an die politischen Gegner eingeschlossen? Angetreten, das Land wieder groß zu machen? In Wahrheit aber entschlossen, sich alles und alle unter den Nagel zu reißen, die bei drei nicht auf den Baum gekommen sind…
    …Genau, jetzt hab ich’s wieder: Silvio Berlusconi! Erinnert sich noch jemand an den? Hat über Jahre und trotz unübersehbarer Schädlichkeit unser europäisches Bruderland Italien in Grund und Boden regiert. Kam da hierzulande Panik auf? Nö. Wurde das als Menetekel interpretiert? Hätte man ja was von gemerkt.
    Eine italienische Freundin hat mir vor kurzem sehr anschaulich die Effekte auseinandergelegt: Nach wie vor seien bei einer Mehrheit der Italiener die geistigen Spätfolgen dieser Ära im Alltag unübersehbar: Völlige Respektlosigkeit vor jeglicher rationaler Argumentation, vor den Lebensentwürfen anderer, ödester und blödester Materialismus, Anti-Intellektualität, Bewunderung für Gerissenheit und Zynismus, von der völligen Verwüstung der Medienlandschaft und der Diskurse einmal ganz abgesehen.
    Haben unsere Politiker, hat Europa, haben wir irgend etwas aus diesem Trauerspiel gelernt? Post-faktisch sind mitnichten nur Trump-Anhänger oder AfD-Wählerinnen. Post-faktisch sind doch vor allem unsere Ex-Volksparteien, ihre Politiker und weite Teile unserer „Medienschaffenden“, die allesamt aus der jüngsten Geschichte nichts lernen wollen, die evidentesten Tatsachen – Stichwort angelsächsischer Kapitalismus etc. und eben seine Effekte – ignorieren und ihre sauber selegierten Daten für „Fakten“ halten. Mir graut vor ihnen!

  2. Lieber Kommentator.
    Die Parallele zu Berlusconi ist in der Tat frappierend. Und zwar sogar über das Dargelegte hinaus.
    Denn die „Echochamber“-Strategie, ebenso permanent wie penetrant über alle Medienkanäle die Frustrationen und mithin die vorgefassten Meinungen des Anhangs zu reverbieren oder an scheinbare Absender zurück zu senden ist auch Teil der italienischen „Medienpolitik“ vor und während der Ära Berlusconi gewesen.
    Allenfalls mit dem Unterschied, dass „Big B“ wirkungstechnisch nahezu die Hälfte der Medien in Italien gehörten (oder hörig waren – man denke nur an das Privatfernsehen), wogegen Trump und sein Team es meisterhaft verstanden haben (Ehre wem Ehre gebührt), dieses ohne jede Rücksicht auf die jeweilige Faktenlage in den Social Media-Kanälen so zu verbreiten, als wäre den Aufbegehrenden endlich eine Stimme gegeben. Trollhafte Real-Time-Störungen des Diskurses oder jedweder Argumentation inklusive. Unsere Medienlandschaft besteht offenbar zunehmend – aller scheinbar „freien“ Auswahl zahlloser Kanäle zum Trotz – aus Plattformen und Nutzern, die besonders anfällig sind für Selbstbestätigung, Selbstliebe und damit (like!) Selbstbezüglichkeit.
    Das semiotische Prinzip der Mythenbildung nach Roland Barthes (Happy Birthday!) wäre damit ebenfalls eindrücklich bestätigt – auch wenn es mich in dieser Eskalation ebenfalls mit Grauen erfüllt.

  3. Ich glaube, treffender als Jonathan Pie kann man es nicht formulieren:
    https://youtu.be/GLG9g7BcjKs

    Being offended doesn’t work anymore.

    Und dass er getroffen hat, merke ich an den hasserfüllten Kommentaren der Linken in meinem Online-Umfeld.

  4. Was interessiert mich Amerika. Wieder ein 9-11. Aber …
    Im Silicon Valley verdient ein Google-Mitarbeiter im Schnitt USD 150.000 im Jahr. Google macht jedes Jahr fast USD 1 Million Profit pro Mitarbeiter. Das Küchenpersonal, die Gärtner und Housekeeper, die für das „Wohlgefühl“ sorgen, bekommen weniger als USD 20.000 im Jahr. Outsourced – ausgelagert, abgehängt, entsorgt – getreu der Religion des Neokapitalismus: Deregulieren, Flexibilisieren, Privatisieren. Eine gut ausgebildete Mutter bekommt USD 55.000. Sie kann sich im Silicon Valley keine Wohnung leisten und lebt in der Ein-Zimmer-Wohnung ihrer Mutter mit ihrer Tochter … (nach einem Artikel aus „Die Zeit“).
    Fragt eure Freunde und Bekannten in München oder Frankfurt wie es dort so geht … Schon vor geraumer Zeit waren nach einem heftigen Wintereinbruch die Straßen über den Taunus nach Frankfurt nicht befahrbar: Am nächsten Morgen fanden in den Krankenhäusern keine Operationen statt, keine Betreuung in den Altenheimen, Polizeiwachen waren dramatisch unterbesetzt, Restaurants blieben geschlossen – die Menschen wohnen im Hintertaunus und können sich keine Wohnungen im Vordertaunus leisten (wie passend: „Hinter-“ und „Vorder-„).
    Wann verlassen die abgehobene politisch-wirtschaftliche Elite und die arroganten „Qualitäts-„-Journalisten endlich ihrem Orbit und kommen auf den Boden der Tatsachen herunter?

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