3 Tode.

Ornette Coleman, Christopher Lee und Harry Rowohlt sind gestorben, wenn auch nicht in dieser Reihenfolge mitgefühlt. Und trotzdem als Dreierpack niederschmetternd. Nicht, weil sie uns nicht genug Stoff gegeben hätten, der zu Tränen rührt und ohne den man gar nicht der wäre, der man ist, sondern weil so viel Freiheit und Freigeistigkeit auf einmal vergehen. FreeJazz und neue Musik-Formen, Free translation und neue Wort-Formen … aber Lee? War der nicht – zumindest zeitweilig – der Blut-Sklave seiner Produzenten? Angefixt und ausgesaugt? Mag sein, aber im Perspektivwechsel hat er UNS freigesetzt, mit seinen unübertroffenen Schurken ohne die wir nicht einmal den euphemistischen Begriff „Bösewicht“ in den Griff gekriegt hätten.

Ob „The Shape of Jazz to Come“ oder „Puuh’s Corner“ oder „Dracula“: sie haben uns „freigesetzt“. Musisch, literarisch, cineastisch. In allen diesen Werken liegt Befreiung. Vom Formelhaften, vom Geordneten, vom Rigiden, vom Bösen. Insofern kann ich mich glücklich schätzen, allen Dreien mein Leben lang bei der Arbeit zugesehen haben zu dürfen.

Ausserdem sahen sie gut aus. Nicht weil schick, sondern weil echt. Und haben alle geknattert, was auch immer; waren verschuldet und über die Maßen artikuliert … und hatten alle „Haltung“. Meist zugunsten derer, die was verändern wollen. Keinesfalls dem status quo verhaftet. Und in so vielem von mir innerlich beklatscht und bejubelt. Beim Lesen, beim Hören, beim Zuhören, beim Zugucken.

Es beschleicht einen also in der Trauer das selbstgerechte Gefühl älterer Männer, die letzten ihrer Art gewesen zu sein. Dabei schließt man sich den verstorbenen gerne an und profitiert schamlos von ihrer Brillianz.

Apropos: erzählt mir doch beim Jazzer-Kondolenztelefonat ein alter Freund, dessen Kompetenzbereich eine federführende Plattenabteilung des Landes ist, dass Christopher Lee mal bei ihm im Lager war, als er dazukam. Der Herr stöberte wohl gerade in raren Opernplatten. Als der Hausherr den Raum betrat, bekam er ein „Don’t be shy, come on in!“ zu hören.

Oder Herr Rowohlt, der zwar später von der „Sedaritis“ sprach, aber dennoch in Sedaris „Nackt“ Überleitungen wie die Folgende hinbekam: „Wir überquerten die Grenze in einem pfirsichfarbenen Mustang, der einem Sprachtherapeuten aus Barstow gehörte, und ich drehte mich kurz auf meinem Autositz um, bevor ich schwor, nie wieder einen Blick zurückzuwerfen.“

Oder eben die ins Mark treffenden Saxophonlinien von Coleman, die im Oktett mit Dolphy, Cherry, Hubbard, Haden, Higgins, Jamaladeen Tacuma und weiss‘ ich noch wer, die Töne und Harmonien verändert haben, die eine ganze Generation geprägt und an den Rand des Wahnsinns getrieben haben. Die Süddeutsche (A. Kreye) schreibt von der „… Klarheit und Zielgenauigkeit eines Laserstrahls erst einmal ins Herz getroffen“ zu werden, und seine Opfer „…werden Musik nie wieder hören können, wie zuvor.“

Mit einem Zitat aus einem „Schausaufen mit Betonung“ (Lesung) möchte ich schließen: „McKinsey möge sich bitte freundlichst und gründlichst gehackt legen!“

Ein Gedanke zu „3 Tode.

  1. Geschätzter Blogger,

    Trauer und Kondolenz in allen Ehren, aber Coleman hat bei Polydor weniger Platten als James Last verkauft, und Lee weniger Winnetou-Filme als Pierre Brice gedreht.

    Nur für Ihre Statistik…:-)

    Herzlichst
    Old HappySound

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