Paternalistische Bevormundung: Vorspiel

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 2 Abs. 1

Nach dem bayerischen Anti-Raucher-Volksentscheid erhebt sich nun das Gejammere der Passiv-Raucher, die meinten, von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen zu müssen. Dabei hätte ihnen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Gesetzesanträgen der Tabak-Taliban aus dem Jahre 2008 zu denken geben können.

Und für eine wirklich gute, demokratische und verfassungskonforme Argumentation im Umfeld der Abstimmung hätten ihnen (und allen freiheitlich und kultiviert denkenenden Nichtrauchern) die Worte des Prof. Dr. Johannes Masing dienen können. Dieser Bundesverfassungsrichter begründete seine abweichende Meinung zum Senatsbeschluss des BVG vom 30. Juli 2008 zum Rauchverbot u.a. wie folgt:
Ein ausnahmsloses Rauchverbot in allen Gaststätten wäre meines Erachtens auch in der Sache verfassungswidrig. Es handelte sich hierbei um einen Eingriff … in die Freiheit der Raucher nach Art. 2 Abs. 1 GG, der mit dem Verhältnismäßigkeits- grundsatz nicht vereinbar wäre.

Ein ausnahmsloses Rauchverbot ist zum Schutz der Nichtraucher nicht erforderlich und als Maßnahme der Suchtprävention zum Schutz der Bürger vor sich selbst unverhältnismäßig. Es wäre ein Schritt in Richtung einer staatlichen Inpflichtnahme zu einem „guten Leben“, die mit der Freiheitsordnung des Grundgesetzes nicht vereinbar ist.

Mit einem absoluten gaststättenrechtlichen Rauchverbot wird das gesellige Beisammensein und Feiern bei Tabak, Speise und Trank völlig aus dem öffentlichen Raum und dem gewerblichen Angebot verbannt…Der Genuss von Tabak bei Speise und Trank wäre danach im Wesentlichen nur noch innerhalb der privaten vier Wände möglich. Dieses aber ist angesichts einer Tradition, in der diese Verbindung seit Jahrhunderten von vielen als Teil von Lebensfreude empfunden und gepflegt wird, und angesichts eines Raucheranteils von mehr als 30 % der erwachsenen Bevölkerung unverhältnismäßig…Das gaststättenrechtliche Rauchverbot ist insoweit auch mehr als die Bagatellbelastung, zur Befriedigung einer Sucht vor die Tür treten zu müssen. Es unterbindet vielmehr eine tradierte Form des kommunikativen Miteinanders in als persönlich wichtig angesehenen Situationen, für die der – zu Recht oder zu Unrecht als subjektiv frei empfundene – Rückgriff auf den gesundheitsschädigenden Tabak als wesentlich erlebt wird. In Blick auf damit verbundene Gefahren kann der Gesetzgeber … nicht auf dem Verbotswege die Verbindung von Tabak, Speise und Trank völlig dem gewerblichen Angebot in der Öffentlichkeit entziehen.

Die Freiheitsrechte des Grundgesetzes verpflichten den Gesetzgeber auf Regelungen, die der schwierigen Spannung von Schutz und Freiheit ausgleichend Rechnung tragen. Damit verträgt sich die Radikallösung eines absoluten gaststättenrechtlichen Rauchverbots nicht. Mit ihr wird vielmehr ein Weg edukatorischer Bevormundung vorgezeichnet, der sich auf weitere Bereiche ausdehnen könnte und dann erstickend wirkt.

Dieser „Weg der edukatorischen Bevormundung“ ist nun beschritten; ein Präzedenzfall geschaffen. Im Lichte der Analyse von Prof. Masing betrifft dies mitnichten „nur“ die Raucher. Es betrifft vielmehr potenziell jede Lebens-Art, jede Kommunikationsform und jede Praxis kulturellen Miteinanders, die in das Blickfeld der „Kultur der Gestörten“ geraten und deren Impuls, was „stört“ unsichtbar zu machen, auslösen könnte. Argumentationen, die auf „Gesundheit“ und „Verantwortung“ abheben, haben sich dabei als gefährliche Waffe erwiesen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass der Diskurs um Qualität, Schönheit und alles, was ein gutes Leben ausmachen kann, von höchster Relevanz (und politischer Brisanz) ist, dann liegt er spätestens nach diesem bayerischen 4. Juli vor.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert