Dies ist der erste von 3 Artikeln, die mit dem gebotenen Abstand von 3 Wochen nach unserer Reise nach Cuba (auch in Zukunft mit „C“ geschrieben) veröffentlicht werden. Es war spannend; aber kein Spass.
„Mas que nada“ heisst (wörtlich übersetzt) „mehr als nix“. Das ist auf Cuba kein Grund zu Trübsal, sondern Anlass zu Hoffnung und Freude. Denn wenn es mehr als nix gibt, gibt es … mehr als nix. Sehr wichtig, das, denn der Cubaner muss sich dauernd und mit fast allem „versorgen“, verbringt irrwitzig viel Zeit damit und hasst nichts mehr als die Leere. Wenn also nur das Geringste weiter oder vorwärts geht, ist schon fast alles GUT. Selbst die kleinste Veränderung zum Positiven wird als echter Fortschritt gesehen. Und der Hauch einer Beschleunigung von was-auch-immer als kraftvolle Entwicklung in die richtige Richtung. Beneidenswert einerseits, entnervend aber auch, denn die Gefeierten Neuerungen sind meist falsche Freunde. Also Waren, die es neuerdings (manchmal) gibt, Busse, die wirklich fahren (aber doppelt überbucht sind), Taxen, die nicht zusammenbrechen (aber ein Schweinegeld kosten), Pensionen, die saubere Betten haben (aber leider kein Wasser) oder Einkommen, die steigen (auf Kosten der Individualreisenden) und öffentliche Ämter-Korruption, die abnimmt (weil sie sich privat viel besser organisieren lässt).
Insofern alles chico, compadre, denn NIX, oder gar Innehalten wäre ja so etwas wie Stillstand; oder der Offenbarungseid und kein „desarollo“ oder – horribilis dictu! – Stille. Denn Stille ist der wahre Horror eines jeden Cubaners. Alle müssen ständig ganz viel reden, sich ihrer selbst versichern, ja selbst die Luft muss immer brennen, mit Geschrei und Musik und Ansagen und Radio und Telefon und TV … denn wenn es nichts mehr zu hören gibt, ist die Welt untergegangen. Problematisch in einem Land in dem die audiovisuelle Technik und entsprechende Medien gerade flächendeckend Einzug halten. Man muss es sich vorstellen wie ein laut brummender Heuschreckenschwarm der über die riesige Insel braust, und mit ihm jede ruhige minute, jeden Moment der Einkehr und der Ruhe hinwegfegt. Da werden Nachbarn lieber 5x am Tag über den anderen Nachbarn unterrichtet, als sich um seine Gäste zu kümmern; alles wird doppelt und dreifach besprochen und bestätigt und von einer Seite des Parque Central zur anderen geskyped – ja, geskyped. Und wir doofen Touris haben für 10% eines Monatseinkommens die läppische Stunde kein Netz, weil die Bandbreite belegt ist.
Blödes Deutsches Gemecker, zweifellos. Die Gründe dafür sind in der Realität aber irgendwann nur noch Anlass zu Wutanfällen oder Fatalismus. Oder zu subversivem Verhalten. Z.B. Leute, die auf der Parkbank für 2 Cent skypen einen CUC (1:1 an den Dollar (!) gekoppelte Touri-Währung) hinhalten und fragen, ob man auch mal darf, denn das würde bei uns zuhause so teuer sein. Oder die indigene Internet-Karte gegen US-Kaugummi oder Gummibärchen tauschen. Oder ein Experiment bei Freunden in Matanzas: Ghettoblaster auf der Terrasse nachts um 12 plötzlich ausschalten. Es dauert keine 30 Sekunden, bis ein anderes Gerät in der unmittelbaren Nachbarschaft losplärrt. Es könnte ja kurz Stille herrschen. Und das ist nicht zu tolerieren.
Ich habe keine Ahnung, ob es die fortwährende Propaganda ist oder die inhärente Abhängigkeit von Kontakten, Nachbarn, Familienmitgliedern und offiziellen Stellen, die permanente Beschallung und endloses Schnattern und absichern und abklopfen so überlebensnotwendig machen. Aber eines ist mal sicher: „mas que nada“ ist auf Cuba – zumindest akkustisch – eine schwere Untertreibung.
Hasta el silencio … a veces.
PS: verpassen Sie nicht „Cuba2 – mas o menos“.