Windschatten.

Früher, also in den 80er und 90er Jahren, haben wir gezielte PR-Aktionen zum Guten oder Schlechten eines Klienten „Wind machen“ genannt. Inzwischen (und auf viel mehr und fraktalisierten Kanälen), wird Wind gemacht um die eigentlichen Ziele unkenntlich zu machen. Das heisst nicht, dass sie unsichtbar sind. Sie liegen teils offen, werden aber durch den vorherrschenden Wind so kaschiert, dass sie als scheinbare Sekundärziele einfach von allein hinter den Vordergrund zurückfallen. Alleine schon, weil mittelfristig keine Zeit bleibt, sich mit dieser Ebene medial auseinander zu setzen. Ein Navigieren im Windschatten also. Manchmal sogar im eigenen.

Bilaterale Gespräche mit autoritären und menschenverachtenden Regimes im Windschatten der Flüchtlingsproblematik.

Die Übernahme der (profitablen) Griechischen Flughäfen durch die FraPort im Rahmen der erzwungenen Privatisierung Griechischer Staatsgüter.

Und jetzt die einseitige Aufkündigung eines Waffenstillstandes und die Ermordung von Kurden im Windschatten der IS-Bekämpfung.

Wenn Sie bis hierhin gelesen haben, sind sie vielleicht empört, aber genau dieser Taktik auf den Leim gegangen. Was will er sagen? Verrät er jetzt etwas? Welche Taktik befolgt er? Where is the beef? Ich Leser aber bin Sherlock. Scheinbar also findet der Rezipient die scheinbar verborgene Botschaft und ist selbst dann froh‘ sie zu empfangen, wenn sie ihm verzehrfertig auf den Teller gelegt wird. Für einen zweiten Gang zum Thema fehlt die Zeit. Auch wenn sie meist mit dem gespenstischen Starren auf kleine Bildschirme verstopft ist, also umnutzbar wäre. Nur was aktuell und schnell ist, ist aktuell und schnell zu beantworten. Über zahllose, die Form meist vorgebende, rigide, datensaugende Plattformen. Es aber zumindest mit einem Reflex quittiert wird – im „Resonanzraum des persönlichen Internets“ (Haberl, SZ, glaube ich).

Informationsmaterialismus. Gewinnlust auf der Ebene scheinbarer sozialer Relevanz. Und Gier, wie immer. Max. 160 Zeichen und möglichst viele Verweise damit man in alle Richtungen Sporen (sic!) der eigenen Persönlichkeit verstreuen kann … im Windschatten von was oder wem auch immer.

Hemingway hat mal die besoffene Wette gemacht, er könne eine Geschichte in sechs Worten erzählen. Die Saufkumpanen an der Bar des Hotel Crillon hielten dagegen und nach einiger Zeit kritzelte E.H. auf die Serviette: „Baby shoes for sale: never worn“.

IS verspätet getroffen: leider Kurden tot.

 

3 Tode.

Ornette Coleman, Christopher Lee und Harry Rowohlt sind gestorben, wenn auch nicht in dieser Reihenfolge mitgefühlt. Und trotzdem als Dreierpack niederschmetternd. Nicht, weil sie uns nicht genug Stoff gegeben hätten, der zu Tränen rührt und ohne den man gar nicht der wäre, der man ist, sondern weil so viel Freiheit und Freigeistigkeit auf einmal vergehen. FreeJazz und neue Musik-Formen, Free translation und neue Wort-Formen … aber Lee? War der nicht – zumindest zeitweilig – der Blut-Sklave seiner Produzenten? Angefixt und ausgesaugt? Mag sein, aber im Perspektivwechsel hat er UNS freigesetzt, mit seinen unübertroffenen Schurken ohne die wir nicht einmal den euphemistischen Begriff „Bösewicht“ in den Griff gekriegt hätten.

Ob „The Shape of Jazz to Come“ oder „Puuh’s Corner“ oder „Dracula“: sie haben uns „freigesetzt“. Musisch, literarisch, cineastisch. In allen diesen Werken liegt Befreiung. Vom Formelhaften, vom Geordneten, vom Rigiden, vom Bösen. Insofern kann ich mich glücklich schätzen, allen Dreien mein Leben lang bei der Arbeit zugesehen haben zu dürfen.

Ausserdem sahen sie gut aus. Nicht weil schick, sondern weil echt. Und haben alle geknattert, was auch immer; waren verschuldet und über die Maßen artikuliert … und hatten alle „Haltung“. Meist zugunsten derer, die was verändern wollen. Keinesfalls dem status quo verhaftet. Und in so vielem von mir innerlich beklatscht und bejubelt. Beim Lesen, beim Hören, beim Zuhören, beim Zugucken.

Es beschleicht einen also in der Trauer das selbstgerechte Gefühl älterer Männer, die letzten ihrer Art gewesen zu sein. Dabei schließt man sich den verstorbenen gerne an und profitiert schamlos von ihrer Brillianz.

Apropos: erzählt mir doch beim Jazzer-Kondolenztelefonat ein alter Freund, dessen Kompetenzbereich eine federführende Plattenabteilung des Landes ist, dass Christopher Lee mal bei ihm im Lager war, als er dazukam. Der Herr stöberte wohl gerade in raren Opernplatten. Als der Hausherr den Raum betrat, bekam er ein „Don’t be shy, come on in!“ zu hören.

Oder Herr Rowohlt, der zwar später von der „Sedaritis“ sprach, aber dennoch in Sedaris „Nackt“ Überleitungen wie die Folgende hinbekam: „Wir überquerten die Grenze in einem pfirsichfarbenen Mustang, der einem Sprachtherapeuten aus Barstow gehörte, und ich drehte mich kurz auf meinem Autositz um, bevor ich schwor, nie wieder einen Blick zurückzuwerfen.“

Oder eben die ins Mark treffenden Saxophonlinien von Coleman, die im Oktett mit Dolphy, Cherry, Hubbard, Haden, Higgins, Jamaladeen Tacuma und weiss‘ ich noch wer, die Töne und Harmonien verändert haben, die eine ganze Generation geprägt und an den Rand des Wahnsinns getrieben haben. Die Süddeutsche (A. Kreye) schreibt von der „… Klarheit und Zielgenauigkeit eines Laserstrahls erst einmal ins Herz getroffen“ zu werden, und seine Opfer „…werden Musik nie wieder hören können, wie zuvor.“

Mit einem Zitat aus einem „Schausaufen mit Betonung“ (Lesung) möchte ich schließen: „McKinsey möge sich bitte freundlichst und gründlichst gehackt legen!“

Stumm.

Lange nichts geschrieben. Weil Trauer hier macht stumm. Es scheint hierzulande einfach nicht opportun (angebracht, angemessen, empfehlenswert, geraten, passend, ratsam, sinnvoll, vernünftig, vorteilhaft, zweckmäßig), seine Trauer zu artikulieren, notfalls deutlich und vernehmbar. In Indien oder Kambodscha zum Beispiel ist Trauer ein lautes Fest. So wie in vielen anderen Ländern auch. Mit viel Geschrei und Musik, mit Tanz und Firlefanz.

Auch deshalb, weil ein Teil der Zeremonie dazu dienen soll, den/die Verstorbene(n) zu „erheben“, also mit einer gewissen Freude ihm/ihr dabei zu helfen, neue Ufer zu erreichen. Wie auch immer die aussehen.

Nun bin ich kein Freund des Gedankens an Wi(e)dergeburt; aber „a schöne Leich'“ mag schon sein. Und da werden ja auch und oft laute Worte gewechselt. Insofern ist meine Schreibblockade soeben durch den Gedanken aufgehoben worden, dass es schlicht keinen Grund gibt, anzunehmen, dass was auch immer ich schreibe jemand anderen in seiner Trauer stören könnte. Das nämlich war der Grund für meine Unfähigkeit, an dieser Stelle etwas zum Tode meiner Mutter zu schreiben. Und sei es nur dieser kleine Gedanke. Und weiter: Dem Tod ein Schnäppchen schlagen können nur die Lebendigen.

 

Zeichensetzen.

Man macht keine Witze über Geiselnahmen. Vor allem nicht in Verbindung mit der CSU. „Hellooh, tis is tha metropolitan poliece, please speak austraalian to tha hostagas.“

Ja, genau, geschmacklos. Aber wenn ich bedenke, dass ich als 18-jähriger das Islamische Glaubenbekenntnis quasi als „graphic novel“ auf der Brust getragen habe – aus ästhetischen Gründen, weil calligraphisch wertvoll – dann wird einem schlicht übel im Angesicht dessen, wie dieser Glaube, entwurzelt und pervertiert von einigen wenigen (!) in den Schmutz der Macht und der Herrschafft (ohne teilen) gezogen wird.

Ich frage mich allen Ernstes, wie der Islam, ebenso wunderbar mit Zeichen ausgestattet wie alle anderen Weltreligionen, da wieder raus kommen will. Wohl nur mit der Hilfe unseres Wissens, unserer Empathie, unserer Toleranz und unseres Kulturverständnisses. Und mit „unser“ meine ich die, denen es nicht am Arsch vorbei geht, dass der Glaube von so vielen Menschen in den Schmutz gezogen wird, bis wir ihn nicht wieder erkennen … und nur ob seiner Opfer auf die Strasse gehen, weil wir meinen, im Bekenntnis einiger den Feind vieler zu sehen. Der Feind aber ist die Gewalt, die Macht, die Gier und die Unterdrückung. So wie in allen Religionen ausser dem Buddhismus. A priori. Und der hat in seiner praktischen Anwendung auch keine saubere Veste.

Bleibt also agnostisch zu bemerken, dass es völlig egal ist, unter welchem Deckmäntelchen die Herrschsucht daherkommt: die winzige Kruste der Zivilisation sollte da eigentlich drüber sein und Festiger entwickelt haben, die diese Leute demokratisch kontrollieren – egal ob es Eiferer für das Wort Allah’s Propheten sind oder Bayerische Lokalpolitiker, die meinen, es gäbe nichts rechts von der CSU – schon gar keine Flüchtlinge. Denn in der rechten hält man üblicherweise den Benzinkanister.

Und vor allem wir müssen uns der Verdummung entgegenstellen. In Telefonaten und Gesprächen wir müssen, und Blogs, kleinen Gesten und großem Kneipenpalaver immer. Den nur wenn wir reden, werden wir, was wir sind. Einen schönen Abend ich Euch wünsche.

 

Bodo.

Bodo ist tot.

Er war ein feinsinniger, intelligenter Mensch, der Gutem von Schlechtem zu unterscheiden wusste. Unvergessen wird mir ein Abend im Florians (Berlin) bleiben, an dem er allen Ernstes behauptete, der Himmel über dieser Stadt sei „grober Unfug“.

Wim wird es ihm verziehen haben. Wir hatten „Côte de Boeuf“. Und genau das wünsche ich ihm da oben.

 

nyc.

New York ist schon ein Problem.

Es gibt wohl kaum einen Ort, an dem „Wollen“ so ausgeprägt ist. Was an sich keine Nachricht wert, wenn es nicht so virulent wäre. Es gibt in der Welt, wie ich meine, eher zu viele Leute. Wenn die sich dann zusammenballen und ganz viel wollen kommt ein kulturelles Wunder zur Blüte. Alles arbeitet, macht viel und redet ausführlich darüber. Bis dahin d’accord.

Wenn dann also Menschen dort hin fahren, dann wollen sie immer was. Und wenn man am Times Square auftaucht und Herr Martin macht mal schnell ein kleines Coldplay-unplugged-Konzert, dann ist natürlich was gebacken.

Aber diese Stadt frisst einen auf. Diese Permanenz von Impetus. Und für die sprachliche Entspannung: le immer wollen. Ist aber ein Deal. Manhattan or Nottingham. Kann ich gut nachvollziehen. Man will ja nicht in Neuperlach und doch auch nicht in Williamsburg leben, oder? Und die Optik erschöpft sich dann auch. Aber diese unvorstellbare Energie ist so unglaublich … wie Mumbai nehme ich an. Oder Lagos. Oder Saigon. Eines kann sie allerdings wie keine andere: wenn jemand dort ist, wähnt man sich bei ihm/ihr. Es greift eine Art kulturelle Solidarität, die jenseits aller antiamerikanischen Zuckung Empathie für die Person in der Fremde generiert. Andererseits kann einem das auch in Bangkok passieren (vorausgesetzt dass man „die Stadt“ kennt). Und in Paris ist sowieso alles anders. Insofern:

„Ca n’est pas ta  faute, c’est ton heritage.

Et ca cera pire encore, quand tu auras mon age.

Il vas favoir faire avec …. ou sans.“

 

Blickfang.

Eine Designmesse also sollte es sein. Der Flyer lag in aufdringlich pinklastiger Kartonage so lange herum, dass er – ganz im Gegensatz zu Anderen seiner Art – bis zum tatsächlichen Zeitpunkt der Veranstaltung in unserer Wohnung überlebt hatte. Nungut, Ehre, wem Ehre gebührt und ein latentes Schnäppchenjägersyndrom im Hintergrund da hin; wenig Erwartung, viel Eintritt.

Und zu meiner großen Überraschung fanden sich, ohne langes Suchen, schon gleich zu Beginn Artefakte, die sowohl geschmackvoll, als auch durchdacht und manchmal gar von einer wirklich guten Idee durchdrungen waren. Insofern, als dass die Form ansprechend, die Funktion erfüllt und der Effekt besonders waren. Reflex: „bestimmt sackteuer, der geile Kram“. Aber wieder nein. Man musste nicht einmal den bereits recht präsenten 3-D-Drucker bemühen, um mit modernen Techniken, angewandt auf allerlei Materialen von Bambus bis „Fein-Polistirol“ (auf gut Deutsch: es gibt noch keinen Namen dafür), Objekte zu kreiieren, die selbst mich als Materialverächter in den Bann zu ziehen vermochten.

Und dann fragt man(n) leicht hämisch nach dem Preis, und, äh, da müsste dann schon Ikea oder H&M herhalten, um ihn massiv zu unterbieten. Will sagen: für handgemachtes, Kleinstserien und massgeschneidertes muss man offensichtlich nur bereit sein, 10% mehr zu zahlen – als in jeder Schreinerei, einem Einrichtungshaus oder einer Mode-Boutique. Die Qualitäten der Materialien sind aber teilweise exquisit und weit von Massenware entfernt. Nur das Finden dieser Pioniere ist schwierig, und die haben alle kein Geld, sich breiter bekannt zu machen. Also kam auch noch so eine Art „Exklusivitätseffekt“ dazu, der dann alles adelt, worauf Du geruhst, Deine Augen zu richten.

Schönes Ding. Aber jetzt mal sachlich: gute Statik macht tolle Optik, Weglassen ist das neue Schwarz, und never forget function scheint inzwischen Lehre zu sein. Herzlichen Dank dafür. Und weil die Überraschungen zu Qualität der Ausführung, Liebe zum Detail und Formenimagination eine Wohltat für die Augen und das Schamgefühl waren. Und für den massgeschneiderten Rock meiner wunderschönen Frau. Der kommt dann im Frühjahr aus Serbien.

Wenn es das bis dahin noch gibt.

Algofaschism.

Wenn Amazon Leuten Pakete schickt, die diese nicht bestellt haben und nur 40% davon zurückgeschickt werden und sie auch noch eine Set-top-box verkaufen, die genau registriert was wer zuhause wann macht, und die meisten Menschen auf Facebook seit über 5 Jahren ihr Profilbild nicht geändert haben, und es weit über eine halbe Million Schönheits-OP’s (pro Jahr!) allein in Deutschland gibt, dann sollte das einem zu denken geben. Und zwar weil die Oberfläche jeden tieferen Handlungsgrund ansaugt. Überall, wo eine leicht zu bespielende Fläche zur Verfügung gestellt wird (der freie Wille gilt), wird sie als Weg des geringsten Widerstandes gerne als Spielfeld gewählt. Was für ein Deal! Wenn jemand weiss, was ich gerne will, darf er auch über mich verfügen.

Das heisst aber unter Umständen auch, dass ich nie etwas anderes wollen werde. Mangels Alternativen, Angebot, Neugier und „Trouvaillen“. Diese Oberflächlichkeit also (gesteuert!) systemimmanent wird und sich nur die wenigsten damit trösten können, endlich die „richtige“ Musik zu hören, die „bösen“ TV-Series zu sehen und plötzlich viele „Freunde“ zu haben. Wo sie doch schon in der Schule ein Arsch waren, keine Haltung gezeigt und zu Recht keine Kumpels hatten.

Aber eben auch, weil die daraus resultierende kulturelle Abwärtsspirale des „more of the same“ der Verkaufsalgorythmen – mittelbar also die im Vorfeld des Angebots berechneten Konstanten

– stehengebliebenes kulturelles Interesse (weil algofaschistoides Angebot),,

– indifferente Kommunikation (weil Facebook, Parship etc…) und

– gleichbleibendes Alter(Ego) ((weil Titten, Nasen, Botox))

eine Art Vektor der Berechenbarkeit bilden – jedwede Exploration des Unbekannten, Niegehörten oder Unbesehenen offensichtlich keinen Wert „per se“ mehr darstellt. Nicht mehr zur Erziehung gehörend. Ohne soziale Belohnungsmechanismen. Nicht einmal mehr staatstragend. Eben dieser hat übrigens heute per Verfassungsgericht festgestellt, dass die katholische kirche (immer kleinschreiben!) ein rechtsfreier Raum ist, in dem die Pfaffen machen, was sie wollen. Die staatlich sanktionierten Anal-Bleacher.

Will sagen: wenn uns ein paar Clevere versuchen vorzumachen, sie wüssten besser als wir selbst, was gut, schön und ehrenwert ist, dann haben sie die Rechnung ohne die Unbekannten und die Suchenden gemacht. Wir werden weiter stöbern, über die Schulter gucken und uns lustvoll irgendwohin verirren. Die offenen Synapsen werden ihren Dienst nie einstellen. Die Unvoreingenommenheit gegenüber neuen Idéen wird nicht schwinden; die Freude am Neuen nicht verblassen und die Bereitschaft, überrascht zu werden, nicht weniger. Die Fakten sind zwar niederschmetternd, aber ich will einfach nicht aufgeben zu glauben, dass es noch Leute gibt, die selbst(bewusst) entscheiden, was sie tun oder konsumieren und sich sowohl darüber Gedanken machen, als auch dazu, was es wohl noch zu entdecken gibt. In der realen Welt.

Als unverbrüchlich humanistischer Misanthrop glaube ich natürlich kein Wort von dem, was ich schreibe. Zur Erklärung: ich kann die Leute nicht ausstehen – aber ich helfe ihnen gerne.

 

Kmg.

Kunst macht glücklich.
Von 200,- bis 7.500,- € war die Ansage der „Affordable Art Fair“. Ganz günstig für Glück. Persönlich fand ich zwar, dass das wahre Glück erst bei € 2.000+ anfängt aber sei’s drum. Zahlen sollte man dann, wenn sich etwas aufdrängt; wenn ein Bild oder Bildnis zwingend wird; wenn es schreit, dass erstmal der Preis egal wäre, und man dann erst guckt … und es plötzlich im Rahmen des Möglichen das Gehirn verdreht, den Puls erhöht und einen imaginären Platz in der Wohnung einnimmt (ein weit unterschätztes Kriterium).

In allem was da hängt, liegt, steht, sieht man Gestaltungswillen und Mut und Wollen. Das ist schockierend, in der Menge.

Von Fotografen, die sich kreativ und am Computer überschlagen, weil sie glauben, vielleicht keine Künstler zu sein und farbigst möglich dagegen anstinken; gerne mit Ausflügen in den „real deal“ (Scorsese revisited), bis zu mexicanischen Hyperrealisten mit Hang zum Melodramatischen (nichts neues) und neuer Deutscher Sachlichkeit 2.0 war alles dabei, was einen langweilt. Dann schärft sich der Blick, die Ecken werden erkundet, die Zweitpassagen aufmerksamer,; der Gesamteindruck fließt in die Einzelheit. Dann stechen plötzlich Artefacte hervor, die im Vorbeigehen untergegangen, später im Zurückeilen überflogen wurden. Fotos, die Fotos sein wollen; Bilder in Öl, die genau das sind; und Mixed Media, die mixed media sind.

Erstaunlich finde ich nachträglich vor allem, dass Die Sachen Sachen sind. Und wenn sie mehr sind als Sachen, dann sind sie einer genaueren Betrachtung Wert. Und wenn sie dann noch viel mehr machen als Sachen, dann sind sie WERT, den inneren Kreis des privaten Lebens zu betreten – und sei es nur, an einer Wand.
Nach der Glocke um 18:00 Uhr (eingeschlichen) verwandelt sich die Kunst übrigens in Packware (siehe Keinbilder); fieses, empfindliches Zeug, das nervig in Bläschenfolie gepackt werden muss. Nimbus sofort verflogen, Glamour weg, Glanz wird zu Stückgut. Aber damit plötzlich greifbar als etwas physisches, als Material, als Format. Und allein das ist in Zeiten übergriffiger Virtualität schon wohltuend – auch wenn Meisterwerke verpackt werden wie Schweine auf dem Weg zum Schafott.

Grenzen.

Zwar habe ich viel gelernt in diesen Tagen der Deutsch-deutschen Besoffenheit, z.B. dass das System DDR keineswegs „befreit“ wurde (wer will sich schon von Helmut Kohl befreien lassen?) und auch nicht von oben unter dem Druck des Volkes von unten ein Einsehen hatte oder gar sanft revolutioniert wurde, sondern vielmehr ganz schlicht unter den Umständen kollabiert ist. Ressourcenknappheit, auch in der Argumentation, und die völlige Desillusion des handelnden Personals traf flächendeckend auf eine eher gemütlich installierte Masse von neugierig gewordenen Spießern. Also eher Opportunismus im Angesicht eines Macht- und Entscheidungsvakuums, als Freiheitsstreben oder gar ein „casus belli“.

Keinesfalls will ich den „Helden von Leipzig“ zu nahe treten. Und sicher haben sie den Stein ins Rollen gebracht und nicht die Berliner, die an der Bornholmer Straße „nur ma‘ Ku’damm kieken“ wollten und „Wir kommen wieder!““ skandierten. Man fragt sich nur, wieso das eigentlich fast 30 Jahre gedauert hat.

Das Zucken war kurz, der Eingriff beherzt, der Alltag schnell.

Diese Erkenntnis aber, die in ihrer Banalität in zahllosen O-Tönen und dramaturgischen Bearbeitungen geradezu brutal in meinem Bewusstsein aufschlug nachdem ich mir die Mühe gemacht habe, der Sache nach einem Vierteljahrhundert schwammiger Vorstellungen mit dem nötigen Ernst auf den Grund zu gehen, entwertet jedwede Träumerei von der (Chancen-)Gleichheit der Menschen auf eine so niederschmetternd dumpfe Weise, dass man sich wünscht, das Lüftlein von Freiheit in der vormaligen Ignoranz möge wieder wehen. Aber Wissen lässt sich leider nicht rückgängig machen.

Ebenso eingestürzt ist eine andere Grenze. Nämlich der letzte Funken Hoffnung und Glaube daran, dass die Finanz- und Informationswirtschaft sich in vertretbarem Maße selbst regulieren, den Bösen also ausreichend Gute gegenüberstehen. Doch siehe da: auch an dieser Front wird schnell und gründlich aufgeräumt. Nur das es in diesem Falle die Aufräumarbeiten sind, die einen schockieren. Über 3 Milliarden US$ (das sind 3.000 Millionen) gehen alleine von 5 Banken in USA und GB an diese Staaten (und dort in kaum kontrollierbare Kanäle) um die Manipulationen an den Devisenmärkten „ungeschehen“ zu machen. Und fast 80% der Informationswirtschaft (-kapitalismus kann man angesichts der Kräfteverhältnisse dazu ja nicht mehr sagen) liegt in den Händen einer handvoll Unternehmen, die „größer“ sind als die meisten Staaten der Erde – und sich auch so benehmen. It’s the economy, stupid?

Ich kann weder Börsenkauderwelsch noch sächsisch mehr hören, ohne Brechreiz kontrollieren zu müssen. Und „EGO“ von Schirrmacher treibt mir die Tränen in die Augen. Aber eines bleibt als zarter Hoffnungsschimmer im dunklen Tal des gnadenlosen Materialismus: Wir sind das Volk.

Wir sind das Volk. Vielleicht sollten wir uns daran öfter mal erinnern als alle 25 Jahre.