Iden des Mais.

Auch wenn good old Karl M. nur noch ein abgefeiertes Gedanken-Konstrukt ist, das auf brillianter Analyse basiert, daraus aber falsche Schlussfolgerungen gezogen hat; bleibt am Vorabend des 1. Mai so etwas wie eine marxistische Restwürde fühlbar. Befeuert zum Beispiel dadurch, dass sich an der Enteignung des produzierenden Volkskörpers (vulgo: Proletariat) nichts geändert hat. Im Gegenteil: wir sind nunmehr bei der digitalen Enteignung 4.0 angelangt. Mit jeder Suchanfrage auf Google machen wir die Anteile der (anonymen) Shareholder wertvoller. Mit jeder Telekom-Aktie, mit jeder What’s App-Nachricht, mit jeder Booking.com oder AirBnB-Buchung. Oder mit Bitcoin-Mining und selbst mit sharing economy.

Sicher, WIR müssen für die Bereicherung der Anteilseigner vielleicht nicht mehr in Fabriken schwitzen – woanders in der Welt aber schon. Indische Kinder die Steine klopfen (ironischerweise für unsere Gräber) und Elektromüll-Trenner in den Giftschwaden von Lagos gibt es ebenso in Scharen wie Wanderarbeiter in China oder Philippinische Hausangestellte.

Insofern hat sich nicht viel geändert. Das Kapital bleibt bestimmend. Und es hat sich nicht gleicher verteilt seit Marx und seinen Apologeten die Gelegenheit gegeben wurde, es anders zu machen – mangels politischer Spielräume jenseits der Bourgeoisie. Im Bayerischen sagt man bis heute: „Wer zoit, schafft ‚o!“

Was mich immer noch so empfindlich stört, ist die öffentliche und publizistische Gleichstellung beinharter kommunistischer Diktatoren (Stalin, Mao Zedong, Ho Tschi Minh, Pol Pot etc.) mit den reflektierten und zukunftsweisenden Betrachtungen von Marx. Es ist zum Verzweifeln: die Ungleichheit hat sich weltweit verstärkt, ihre Wahrnehmung aber verflacht zusehends. Obwohl die Divergenz zwischen „Proletariat“ und „Bourgeoisie“ sich tagtäglich auf’s unerträglichste verschärft. Und wer sich mit seinen Schriften auch nur 10 Stunden beschäftigt, würde sie für schlüssig befinden.

So bleibt uns also in den Iden des Mais nurmehr lächerliche Linken-Folklore mit Steineschmeißen auf der Schanze zu bedauern. Ein klar umgrenzter Raum für ein wiederkehrendes Ritual, das dem revoltierenden Proletariat seine kleine Spielwiese lässt – bekämpft und beschützt mit Steuergeldern bzw. den von ihnen bezahlten Ordnungskräften. Und Mario Adorf, der eitle, senile Trottel darf ihn endlich spielen, als den Opa mit den lustigen Ideen.

Wer sich ein wenig in der Welt umgesehen hat; in Gegenden, in denen bittere Armut herrscht und die Ungleichheit jeden Tag fühl- und erlebbar ist, der weiss, dass es für diese Ideen einen riesigen Resonanzraum gibt; dass sie weder falsch noch übertrieben sind … und das sie dennoch daran scheitern werden, dass jeder Proletarier heimlich gerne selbst ein Bourgeois wäre.

Da liegt der Denkfehler von Marx – und er wird bestehen, bis wir daran zu Grunde gehen.

Dennoch und mit Restehre: Einen schönen Tanz in den Mai. Venceremos!