Verschleppung.

Es ist schon erstaunlich, wie neuerdings auf „diplomatische“ Weise das grausame Elend der Flüchtlinge im Mittelmeer dahingehend banalisiert wird, dass nunmehr „Schlepperbanden“ an allem Schuld sein sollen. Denn anscheinend sind die Drecksäcke, die von der Verzweiflung anderer profitieren (meist selbst ehemalige Hungerleider), nunmehr Schuld an der Misère ihrer Kundschaft. So wie Dealer schuldig sind für die Sucht ihrer Kunden. Oder Schlüsseldienste daran, dass man sich ausgeschlossen hat. Und Arbeitsämter an den Entlassungswellen der Industrie. Oder Viehzüchter an der Schlachtung ihrer Rinder. Und wer Schuld ist, wird folgerichtig weggebombt. Auf fremdem Gebiet, notfalls. Mit Mandat natürlich. Und mit G-36. Besonders gerne in Lybien – haben die Waffen da ja schon. Fanden die beim Bestellen gut. Ausserdem hat man da ja zwei Regierungen, so wie in Syrien, und kann deshalb notfalls immer der anderen die Schuld geben.

OK, nicht ganz fair, aber man sollte sich doch vor Augen führen, was uns da als Ursache-Wirkungsprinzip vorgegaukelt wird im Angesicht völliger Machtlosigkeit der bestehenden Institutionen gegenüber flächendeckender Armut, Ausbeutung, Migration und internationaler Interessenskonflikte. Das „Mare Nostrum“-Programm konnte noch als humanitär durchgehen, weil es ein Diktat der Rettung über die Landesgrenzen hinaus bedeutete. Nunmehr werden die Grenzen geschützt, die armen Schweine auf offener See ersaufen unerhört und die Herkunftsländer sollen angegriffen werden.

Wie sollen denn selbst die besten Drohnen „Schlepper“ von „Flüchtlingen“ unterscheiden können, wenn sie es selbst im Irak, in Palästina, in Syrien oder im Irak nicht schaffen, Freund von Feind zu separieren?

Unerträglich finde ich in diesem Zusammenhang auch die Willfährigkeit der öffentlichen Medien, dem Hoax der „Schlepperbande“ als Ursache grausamem Elends auf den Leim zu gehen. Dem Leim deshalb, weil ja bekanntermaßen immer etwas klebenbleibt. Der anhaftende Schleim der Verharmlosung findet so einen schnellen Weg in die Boulevardpresse – so wie die faulen Griechen, die klammen Argentinier, die brutalen Balkanesen, die barbarischen Kongolesen, die dummen Amis, die Nazi-Deutschen etc pp.

Stumm.

Lange nichts geschrieben. Weil Trauer hier macht stumm. Es scheint hierzulande einfach nicht opportun (angebracht, angemessen, empfehlenswert, geraten, passend, ratsam, sinnvoll, vernünftig, vorteilhaft, zweckmäßig), seine Trauer zu artikulieren, notfalls deutlich und vernehmbar. In Indien oder Kambodscha zum Beispiel ist Trauer ein lautes Fest. So wie in vielen anderen Ländern auch. Mit viel Geschrei und Musik, mit Tanz und Firlefanz.

Auch deshalb, weil ein Teil der Zeremonie dazu dienen soll, den/die Verstorbene(n) zu „erheben“, also mit einer gewissen Freude ihm/ihr dabei zu helfen, neue Ufer zu erreichen. Wie auch immer die aussehen.

Nun bin ich kein Freund des Gedankens an Wi(e)dergeburt; aber „a schöne Leich'“ mag schon sein. Und da werden ja auch und oft laute Worte gewechselt. Insofern ist meine Schreibblockade soeben durch den Gedanken aufgehoben worden, dass es schlicht keinen Grund gibt, anzunehmen, dass was auch immer ich schreibe jemand anderen in seiner Trauer stören könnte. Das nämlich war der Grund für meine Unfähigkeit, an dieser Stelle etwas zum Tode meiner Mutter zu schreiben. Und sei es nur dieser kleine Gedanke. Und weiter: Dem Tod ein Schnäppchen schlagen können nur die Lebendigen.