Summa cum …

Nachdem mich heute schon drei nette Menschen gefragt haben, was ich denn vom „Fall“ Guttenberg halte, entlaste ich mich durch einen kurzen Kommentar:

Dass Politiker (wie Vertreter anderer Berufsgruppen auch) mit akademischen Titeln, deren Wert höchst zweifelhaft ist, bei schlichten Gemütern (zusätzlich) Eindruck schinden wollen, ist „normal“, längst bekannt und hinzunehmen. Dass Universitäten, Fakultäten und Professoren dabei die Sykophanten und willfährigen Gelegenheitsmacher geben, könnte auch bekannt sein, ist aber nicht hinzunehmen. Wenn dieser „Fall“ etwas Positives bewirken könnte, dann wäre es eine ernsthafte Besinnung auf die Qualitätskriterien wissenschaftlichen Arbeitens und Leistens in der Forschung, das sich – nach von der Institution Universität einstmals selbst gesetzten Regeln – in der Bewertung einer Dissertation eigentlich widerspiegeln sollte. Wer so achtlos mit seinen eigenen Ansprüchen umgeht, wer den Rest von Glaubwürdigkeit und Würde einer für die eigene Kultur so bedeutsamen Institution so schlampig behandelt, – und, nebenbei, alle beleidigt, die mit ihrer Doktorarbeit ganz im Sinne der Erfindung einen eigenständigen und wichtigen Beitrag zur Forschung geleistet haben –, der sollte die Konsequenzen ziehen. Wissenschaftler und Universitäten sind aufgefordert, ihre eigenen Praktiken zu reflektieren und einen Neuanfang zu machen, um ihre Reputation zu retten. Denn bei genauer Betrachtung hat doch „die Politik“ von dieser Causa keinen Schaden („Ist der Ruf erst ruiniert…“) – die Institution „Universität“ sehr wohl. Ein Rücktritt in Bayreuth wäre insofern ein erfreulicheres Signal als ein Rücktritt in Berlin.

Chinesisch für Anfänger

Hier (?) aber auf jeden Fall anderswo hab ich schon auf Liu Xiaobo, mehr noch auf Liao Yiwu (Dreimal Ausrufezeichen: Der ((chinesische)) Vertreter dessen, was man unter wahrem „Storytelling“ zu verstehen hat, inklusive aller erkenntnistheoretischen, literarischen, ethischen, politischen etc. Implikationen) aufmerksam gemacht. Jetzt bitte auch auf andere aus dieser Riege schauen: Unbedingt etwa auch auf Xu Xing und sein wunderbares Buch „Und alles, was bleibt, ist für Dich“. (Die Buchhandlung im Umkreis, die es da hat, ist DEINE).

Keinerlei Kommentar: Nur die schlichte Empfehlung: Lesen (davor oder parallel Yiwus „Fräulein Hallo…“ naturgemäß). [Nur so viel: allein die Szene in der tibetanischen Kneipe lohnt schon die Lektüre…]

Spannend wird es dann (danach oder im Rückblick), genau zu hören und zu bedenken, was Dir all die Checker erzählen, die jetzt (meist geschäftlich) gerade aus China kommen und Dich volltexten mit „Wissen“ über, hey, die Wirtschaft, die Entwicklung, hey, die Geschwindigkeit, die Disziplin, die yeah! Energie, und da werden wir uns nochmal umschaun (bloß der Sprecher nicht!), und der ganze Schmonzes von Teilanschauung und Kurzschlüssen und Lustangst und Gierschauder und was weiß ich noch alles…

Test: Wenn einer mit seiner „China-Expertise“ so daherrauscht, einfach mal fragen: Kennen und schätzen Sie die Werke von Ai Wai Wai? Was halten Sie von Xu Xings letztem Buch? usw.

Wintermärchen

Itzt, da hinter Rosenheim die ersten Bergkuppen schon ein erstes Schneekäppchen aufgesetzt haben, das angesichts des Kalenders ungefähr so attraktiv erscheint wie ein aktueller Bayern-Freistoß (also wahlweise voll daneben oder unentschlossen in die Eier der mauernden Abwehrmauren), itzt also, wo sich uns der Winter schon so vorlaut ankündigt mit all seinem Unbill, sei als Trostlektüre und Gegengift ein Roman empfohlen, der sich erzählt wie sonst nur das Wetter im Bunde mit dem Klima: Ist’s Winter, hat’s Schnee und hat’s Schnee, is‘ kalt – und dann passiern‘ halt solche Sachen… Zumal in abgeschlossenen Bergtälern der Alpen, sowieso im 19. Jahrhundert, wenn irgendwo in den Alpen ein fahler Fremder ein Repetiergewehr aus dem Westen dabei hat (ja genau, aus dem Western-Westen) und es einen Grund zur Rache gibt, der selbst den Yogi wieder zur Ghurka greifen ließe…

Thomas Willmann hat mit „Das finstere Tal“ einen Erstling geschrieben, der mit einer geradezu unverschämten Unbekümmertheit Erzählmuster von Italo-Western, Clint-Eastwood-Filmen, europäischen „Trivialromanen“ des 19. Jahrhunderts und (stellenweise) der kristallinen Härte eines Cormac McCarthy zusammenrührt – mit dem Effekt, dass dabei ein Text entsteht, dessen Lektüre einem finstere Abende kurzweilig werden lässt. Wer mehr will, findet darüber hinaus schöne Stellen, die zur Reflexion über die paradoxen Beziehungen von Gewaltanwendung, Duldung, Selbstachtung und Freiheit einladen. Und an manchen Stellen hat die Prosa von Willmann einen Rhythmus, der ahnen lässt, dass der Autor von Haus aus Musiker ist.

Ach um wie viel schöner solch ein Buch zu lesen, als den hundertsten Schmarrn mit irgendwelchen Aktualfrustriertmittelstandsverwirrtvergangenheitsangearschtgegenwartsirritiert–hilflosphilosophischdesorientiertsexuellinversersautistischpseudokritisch-gescheitertenLITERATURNORMFIGurN lesen zu müssen/sollen…

P.S. Der Literaturkritiker einer „großen“ Tageszeitung“ hat ihn recht verrissen, den Willmann, und – danke – da dacht ich mir: den schaugst dir o! Weil, es ist ja so: Literaturkritik ist – genauso wie Religion – nicht per se uninformativ: Sie ist es ja nur dann, wenn man an sie glaubt.

Auch ach so LEID oder la lotteria continua

Tja, mir tut es auch leid. So lange nix. Grobe Verletzung der Bloggikette. Nu aber schnell ein paar Wochen (ui) im Zeitraffer nacholen:

Fing alles an mit dem Herrn Sarrazin oder so: Hätte man einerseits unbedingt was zu schreiben wollen, wurde allerdings von der Schwemme meist unintelligenter = so voll am Punkt vorbeigehender, hypernarzisstischer Leitartikel abgeschwemmt, dass man sich einfach durch Schweigen ausdrücken musste. Lieber mit wichtigen Dingen beschäftigen… (Dennoch werden wir in Zukunft zur Bezeichnung von Argumentationstypen, die sich durch Dekontextualisierung, hetzerische Verkürzungen, Dedifferenzierung und populistische Berufung auf statistischen Datendünnschiss auszeichnen, das Adjektiv „sarrazinesk“ verwenden).

…Was uns augenblicklich zu einer Prolepse zwingt: Oktoberfest in München. An einem der Bahnhöfe im schönen (???) Niedebayern steigen die deutsch=bayerischen Mädels ein (Wesen also, deren Migrationshintergrund so lange zurückliegt, dass er sich optisch für die Heutigen nicht mehr ad hoc erschließt: vulgo Eingeborene). Gestylt wie die armen Frauen, die am Straßenstrich (sagen wir: vor Arezzo, nachts um elf und vier Kilometer weit draußen, you know what I mean) ihrem traurigen Schicksal entgegenhängen. Bringen zu dritt freundlich geschätzte 250 kg auf die Waage. Die eine eine Flasche braune Brause unterm Arm, die andere eine volle Flasche Bourbon… Aussteigen in München (auch bekannt als das Millionendeppdorf – beim Oktoberfest sind es ein paar Hundertausende mehr): Und im Abteil der deutschen Damen kullert die leere Whiskeyflasche herum und auf geht’s zur Wiesn! Schon untergehakt: trichinenbefallene Trachtenträger (ebenfalls: doitsch). Wieso, schießt es mir durch den Kopf, wäre es nun so schrecklich schlimm, wenn die sich, sofern Herr S. richtig liegen sollte, abschaffen sollten? Sollen sie natürlich nicht: Sie sollen wählen, sowas eben , nach dem Topf-und-Deckel-Prinzip.

Welt schlecht eingerichtet: Kotzen müssen die, die nüchterne Betrachtungen anstellen und nicht die, die im Zug zur Wiesn 1 Flasche minderwertigen amerikanischen Schnaps saufn.

Gute Erlebnisse: immer wenn man Menschen in einem Umfeld begegnet, wo sie etwas tun können, wo man ihnen Türen öffnet zu Mitgestaltung, wo man ihnen zuhört und sie in Kommunikation bringt, die Optionen aller Beteiligten aufzeigt, vermehrt, macht man die Erfahrung: Ja, ja, ja! Es geht was! Dieses Land und diese Leute können noch viel mehr, sind gut drauf, haben Potenzial (und ja: es macht verdammt viel Spaß, Berater zu sein, wenn man nicht gerade für DAX-Unternehmen arbeiten muss). Kurz: Scheiß auf das BILD der Republik in den Medien: insbesondere Tageszeitungen, TV, „Sachbücher“).

Auch gut: Stuttgart 21 – also selbstredend die Reaktionen darauf. Wer bitte hätte vor 1 Jahr oder so vermutet, dass ausgerechnet die braven Schwaben…??-!!! In Nürtingen hat jetz einer schon eine Agentur gegründet, die krebskranke Alt-68er vor ihrem absehbaren Ableben zum HBF Stuttgart karrt (mit allen Annehmlichkeiten, versteht sich), damit sie im Angesicht des Todes SOWAS nochmal live erleben können. Aber ernsthaft: Chapeau Stuttgart! Deutschland robbt sich ran: an demokratische Selbstverständlichkeiten nämlich. An die Tradition der Aufklärung. An die Zukunft! (-???)

Zu den vielerlei Dingen, die es zum Diskurs um „Stuttgart 21“ anzumerken gelte nur eines: Am selben Tag, an dem Herr Grube (aufgemerkt: die alten Römer wussten, dass Namen eine tiefere Bedeutung haben!) meinte, sagen zu müssen, dass es ja allein aufgrund der Tatsache, dass man bereits 470.000.000 € in die PLANUNG des Projektes investiert habe, kein Zurück mehr geben könne und dürfe, berichteten die Zeitungen wieder einmal, dass wir (bzw. die) Steuerzahler für die Wahnsinnstaten der HRE Bank mit 150.000.000.000 € bürgen (tja Freunde: auf das „Bürgen“ scheint sich derweil die Rolle des „Bürgers“ zu beschränken): Okay, das Ausschreiben von Zahlen ist vielleicht auch nicht immer soooo sinnfällig. Also anders: Wir reden hier über einen Faktor von 320! Das Äquivalent zur „HRE-Rettung“ ist die Option, es sich 320 mal leisten zu können, einen umstrittenen Blödsinn von Großprojekt zu lassen oder einfach neu in den Dialog zu treten, um es BESSER ZU MACHEN. 320 Mal Zukunft. 320 Mal Demokratie. Aber natürlich: Milchmädchenrechnung: Es würde ja nur einen lächerlichen Bruchteil der lächerlichen 470 Mio kosten, von vornherein alle längst bekannten Methoden der Beteiligung, der Diskurssteuerung, der Planungszellen etc. anzuwenden, gute Moderaroren, Berater und Supervioren einzubeziehen, um solche Projekte zunkunftfähig, konsensfähig, nachhaltig zu gestalten. Frage: Wer hat was davon, dass man es NICHT so macht?

Was weiter: Zwei Sätze einer lieben Freundin aus den letzten Tagen, die unbedingt weitergegeben werden müssen:

1. angesichts der Äußerungen eines Herrn Roland Koch, der jetzt auch ein Buch geschrieben hat: „Konservative sind Menschen, die es nicht ertragen, dass andere auch Werte haben und damit sie darüber erst garnicht diskutieren müssen, sagen sie gleich: Die anderen haben überhaupt keine Werte.“

2. „Leber lieber ungewöhnlich!“ (Und wenn das jetzt die jüngeren jeanbrasse-LeserInnen nicht gleich verstehen, weil sie den entsprechenden Spruch nicht kennen – vulgo: ein Intertextualitätsproblem haben –, dann macht das nix.)

Endlich auf jeanbrasse: Preisrätsel!

Anstelle eines ausgedehnten Kommentars zur aktuellen Lage von Kultur und Gesellschaft bringen wir – erstmalig! – ein Preisrätsel: Drei Zitate aus Highlights der Filmgeschichte des vergangenen Jahrhunderts, die, wenn man sie nur einigermaßen intelligent reflektiert, den ausgefallenen Kommentar mehr als ersetzen! Also los geht’s: Zitate lesen, Film erinnern, Bezug zur aktuellen Situation konstruieren, AHA-Effekt genießen… und am Preisrätsel teilnehmen. Hier die Zitate:

„Soilent Green ist Menschenfleisch!“

„Ihr könnt mich alle am Arsch lecken! Ich lass mir das nicht länger gefallen!“

[Guru:] „Ihr seit alle Individuen!“ [Menge:] „Wir sind alle Individuen.“ [Einzelner in der Menge:] „Ich nicht!“

Naaa?!! -??-!!!!

Dann: Die entsprechenden Titel zuordnen. Einen kurzen Kommentar beifügen, in dem man begründet, inwiefern sich die Botschaft der genannten Filme auf die aktuelle Situation beziehen lässt… und ab an jeanbrasse. Alle TeilnehmerInnen gewinnen (möglicherweise) an Renommée.

Lanze für Werbung. Brechen

Es gibt ja immer mehr Leute, die ihre Briefkästen mit Beschwörungsformeln spicken wie: Keine Werbung! (Bitte). Warum das verständlich ist, muss nicht erläutert werden. Warum einem dabei auch einiges entgehen kann, am Beispiel schon:

Neulich fand ich in meiner nicht-virtuellen Mailbox ein nettes Brevier zur Anpreisung allerhand pflanzlicher Wundermittel, ganz prominent beworben dabei ein auf männliche Klientel abgestimmtes Stimulans: „Jeder Mann sollte sich eine Erektion leisten können – auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten!“. Und, wie der Himmel so spielt, daneben der Handzettel des lokalen Alimentari mit italienischer Handwerkstradition: „Wir haben eine Nudel für jeden Anlass!“. Ich finde, die beiden sollten sich grundsätzlich zusammentun. Etwa so: „Wir haben eine Erektion für jeden Anlass!“ und „Jeder Mann sollte sich seine Nudel leisten können – auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten!“. Beratungsaufträge nehmen wir jederzeit gerne entgegen.

Paternalistische Bevormundung: Vorspiel

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 2 Abs. 1

Nach dem bayerischen Anti-Raucher-Volksentscheid erhebt sich nun das Gejammere der Passiv-Raucher, die meinten, von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen zu müssen. Dabei hätte ihnen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Gesetzesanträgen der Tabak-Taliban aus dem Jahre 2008 zu denken geben können.

Und für eine wirklich gute, demokratische und verfassungskonforme Argumentation im Umfeld der Abstimmung hätten ihnen (und allen freiheitlich und kultiviert denkenenden Nichtrauchern) die Worte des Prof. Dr. Johannes Masing dienen können. Dieser Bundesverfassungsrichter begründete seine abweichende Meinung zum Senatsbeschluss des BVG vom 30. Juli 2008 zum Rauchverbot u.a. wie folgt:
Ein ausnahmsloses Rauchverbot in allen Gaststätten wäre meines Erachtens auch in der Sache verfassungswidrig. Es handelte sich hierbei um einen Eingriff … in die Freiheit der Raucher nach Art. 2 Abs. 1 GG, der mit dem Verhältnismäßigkeits- grundsatz nicht vereinbar wäre.

Ein ausnahmsloses Rauchverbot ist zum Schutz der Nichtraucher nicht erforderlich und als Maßnahme der Suchtprävention zum Schutz der Bürger vor sich selbst unverhältnismäßig. Es wäre ein Schritt in Richtung einer staatlichen Inpflichtnahme zu einem „guten Leben“, die mit der Freiheitsordnung des Grundgesetzes nicht vereinbar ist.

Mit einem absoluten gaststättenrechtlichen Rauchverbot wird das gesellige Beisammensein und Feiern bei Tabak, Speise und Trank völlig aus dem öffentlichen Raum und dem gewerblichen Angebot verbannt…Der Genuss von Tabak bei Speise und Trank wäre danach im Wesentlichen nur noch innerhalb der privaten vier Wände möglich. Dieses aber ist angesichts einer Tradition, in der diese Verbindung seit Jahrhunderten von vielen als Teil von Lebensfreude empfunden und gepflegt wird, und angesichts eines Raucheranteils von mehr als 30 % der erwachsenen Bevölkerung unverhältnismäßig…Das gaststättenrechtliche Rauchverbot ist insoweit auch mehr als die Bagatellbelastung, zur Befriedigung einer Sucht vor die Tür treten zu müssen. Es unterbindet vielmehr eine tradierte Form des kommunikativen Miteinanders in als persönlich wichtig angesehenen Situationen, für die der – zu Recht oder zu Unrecht als subjektiv frei empfundene – Rückgriff auf den gesundheitsschädigenden Tabak als wesentlich erlebt wird. In Blick auf damit verbundene Gefahren kann der Gesetzgeber … nicht auf dem Verbotswege die Verbindung von Tabak, Speise und Trank völlig dem gewerblichen Angebot in der Öffentlichkeit entziehen.

Die Freiheitsrechte des Grundgesetzes verpflichten den Gesetzgeber auf Regelungen, die der schwierigen Spannung von Schutz und Freiheit ausgleichend Rechnung tragen. Damit verträgt sich die Radikallösung eines absoluten gaststättenrechtlichen Rauchverbots nicht. Mit ihr wird vielmehr ein Weg edukatorischer Bevormundung vorgezeichnet, der sich auf weitere Bereiche ausdehnen könnte und dann erstickend wirkt.

Dieser „Weg der edukatorischen Bevormundung“ ist nun beschritten; ein Präzedenzfall geschaffen. Im Lichte der Analyse von Prof. Masing betrifft dies mitnichten „nur“ die Raucher. Es betrifft vielmehr potenziell jede Lebens-Art, jede Kommunikationsform und jede Praxis kulturellen Miteinanders, die in das Blickfeld der „Kultur der Gestörten“ geraten und deren Impuls, was „stört“ unsichtbar zu machen, auslösen könnte. Argumentationen, die auf „Gesundheit“ und „Verantwortung“ abheben, haben sich dabei als gefährliche Waffe erwiesen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass der Diskurs um Qualität, Schönheit und alles, was ein gutes Leben ausmachen kann, von höchster Relevanz (und politischer Brisanz) ist, dann liegt er spätestens nach diesem bayerischen 4. Juli vor.

Es geht auch ohne!

Halbfinale naht, und da ist es Zeit, ein paar Bemerkungen zum Thema Vuvuzela loszuwerden:

Nach dem grandiosen, traumhaften Argentinien-Spiel streife ich durch die Stadt – und plötzlich hinter mir ein Krach, ein Klanginferno, das alles vuvzelhafte in den Status eines Streichquartetts verschiebt. Ein Junge mit einem Megaphon, das trommelfellzerfetzend irgend einen Fangesang chipgeneriert in meine und meiner Mitflaneure Ohren kreischt. Sofort drehe ich mich um und brülle ihn an: „Kannst Du nicht Vuvuzela blasen wie alle anderen auch!“ Seine Eltern, fünf Meter dahinter, kringeln sich vor Lachen (Glück gehabt: zeitgenössische Eltern sind im Durchschnitt so humorvoll wie U.S.-amerikanische Militärroboter). Der Junge schaut mich fragend an, dann aber, nach eingehendem Studium meines Blix, entspannende Erkenntnis: Er hat begriffen, was das ist, Humor – und schwenkt mit seinem Megafon ein Hallo herüber.

Aber was, wenn Vuvuzela kapuut und Halbfinale nah? Heute Mittag erreicht mich dazu eine eMail einer lieben Freundin und begnadeten Ökotrophologin: In diesem Falle einen Salat aus frischen grünen Paprika, Zwiebeln, ausgewachsenem Knoblauch mit Linsen (die aber maximal 15 min geköchelt haben dürfen); das Ganze mit einer Handvoll ungeschälten BIO-Mandeln in Olivenöl anbraten (nach Belieben würzen) UND DANN möglichst gestresst circa eine Stunde vor dem Spiel verzehren: Bläst während des Spiels alles weg, der Sound soll unvergleichlich sein und kein Mensch wird dich hinterher darauf ansprechen, dass du wieder deine Vuvuzela vergessen hast.

Wieso geht mir seit Sonntag immer dieser Song von Blumfeld durch den Kopf: „Die Diktatur der Angepassten“?

Volksentscheid in Bayern zur Raucherdiskriminierung (und -inkriminierung): Versuchen wir es für‘s erste in kurzer Form, weil: ein so vielschichtiges und zeichenhaftes Eriegnis uns zwangsläufig noch länger beschäftigen wird und mit all seinen kulturellen, politischen, sozialen Implikationen in einem Beitrag eh nicht zu erschlagen sein wird.

Den 4. Juli (!!!!) mit seinem vorhersehbaren Ergebnis sollte man sich allein schon deshalb merken, weil hier vorgeführt wurde, wie es freundlich geschätzten 15% der Wahlberechtigten gelungen ist, eine deutlich größere Gruppe der Bevölkerung zu kujonieren (einen Begriff, den wir in diesem Zusammenhang gerne von Heribert Prantl übernehmen, den wir schon längst nicht mehr mit der Süddeutschen Zeitung identifizieren können, sondern nur noch mit ihm selbst), in ihre Lebenswelt und ihre Alltagskultur einzumacheten – und scheinbar en passant ein gewichtiges Indiz dafür abzuliefern, dass die sogenannte direkte Demokratie als Heilmittel für die Defizite des Parteiensystems Risiken und Nebenwirkungen bereithält, die in mindestens so fetten Lettern auf den Beipackzettel des real existierenden Staatswesens gedruckt gehören wie die der EU-Menetekel auf den Zigarettenschachteln.

Vor allen anderen Überlegungen muss allerderings festgestellt werden, dass sich die bayerischen Raucher bei dieser Abstimmung mehrheitlich selten dämlich – nämlich wahlenthaltsam – angestellt (also eben: nicht angestellt) haben. Immerhin haben sie mit dieser denkwürdigen Wahl-Abstinenz dem Begriff „Passiv-Raucher“ eine völlig neue Bedeutung verliehen.

Alles weitere an der Geschichte, ist dann aber schon ziemlich ernst und wird sogar bitter ernst durch die Beobachtung, dass kaum jemand in der Lage und/oder willens zu sein scheint, die Zeichen zu deuten:

So hat sich offenkundig unter den Gegnern ebenso wie unter den hysterischen Befürwortern des Volxendsschei’s kaum jemand ernsthaft den Text einmal näher angeschaut, der ab 1. August GESETZ werden wird. Denksportinterssierte, Logiker und Verfassungsrechtler sollten das mal anstelle des morgendlichen Sudokus tun (wir werden darauf demnächst eingehen und sind gespannt auf Hinweise.)

Was schwer wiegt und offenkundig keine Sau interessiert, ist angesichts des zur Abstimmung vorgelegten Gesetzes der Umgang mit einem (Gedanken-)Gut, das sich in demokratischen Rechtsstaaten (und auch in nicht-demokratischn historischen Gemeinwesen)  hinsichtlich des sozialen Friedens und allgemeinen Gerechtigkeitsempfindens als äußerst wohltuend erwiesen hat: Es ist dies das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das hier auf eine Art mit Füßen getreten wird, die für denkbare (und anstehende) andere Fälle nichts Gutes erwarten lässt. Denn was diese Initiative letztlich durchgesetzt hat, ist zu verbieten, dass andere (deren Verhalten einen ganz allgemein und unspezifisch „stört“) auch da, wo man als Gestörter nicht ist, mit freiem Willen unter- und miteinander anders sein können. Strukturell wird mit diesem Volksentscheid der Geist früh- und pseudoaufklärerischenTerrors demokratisch legitimiert. Entmündigung. Entrechtung. Freigabe zum Abschuss mit Fürsorgeargumenten.

Selten wurde in der Geschichte der Bundesrepublik ein Konflikt so polarisierend und unter Verhinderung jeglichen rationalen Diskurses ausgefochten. In der Causa „Nichtraucherschutz“ sind die „Richtigen“ so „richtig“, dass jedes Foul gegen die „Falschen“ subjektiv und innerhalb der eigenen Gruppe als Akt der Menschheitsbeglückung gewertet werden kann. Endlich kann man sich in der Ortsgruppe der GRÜNEN (in der ÖDP sowieso) so richtig einfühlen, wie es ist, ein politisch korrekter Taliban zu sein. Geil???—!!!!–?? Mich friert schon jetzt im Juli, nicht erst im Januar, an der Ecke, wo dann früher meine Lieblingskneipe gewesen sein wird.

WM Zwischenbilanz (Teil I)

Wow! So ein fußballfreier Tag während der WM eröffnet freien Raum in Hülle und Fülle. Spielen wir also mal einen Pass in die Tiefe.

Unter altgedienten Beobachtern des internationalen Fußballs ist ja die Annahme weit verbreitet, Auftreten und Spielweise von Nationalteams verrieten einiges über den Zustand ihres Herkunftslandes. Wenn wir nun mal so tun, als sei diese Hypothese zutreffend (für Popperianer: bisher trotz heftiger Bemühungen wissenschaftlicher Art noch nicht falsifiziert), was ergäben sich dann für Folgerungen angesichts der bisherigen Spiele…

…etwa hinsichtlich des Auftritts von ITALIEN…?!!!!! Angetreten mit völliger Selbstüberschätzung und der klassischen Mischung aus Arroganz, Zynismus, Pragmatismus, was aber alles nicht mehr trägt. Auch ein Aufbäumen in letzter Minute, Trotz und Stolz, hilft da nichts mehr – es war einfach zu spät. Ob ein Land, das zum wiederholten Mal einen Typen wie Berlusconi gewählt hat, dessen Hauptidentifikationsangebot für viele Italiener darin besteht, dass er genauso bauernschlau und verschlagen, „furbo“ ist, wie sie es selbst gerne sein möchten, sich in absehbarer Zeit wird aufrappeln können, ist nicht sehr wahrscheinlich. Italien, früher Sehnsuchtsort aller, die die Schönheit lieben, hat schon seit geraumer Zeit kaum etwas versäumt, um seinem Fußball und seinem Land die Schönheit auszutreiben.
Kommt hinzu, dass man auch hier (und nicht nur hier!) die Jungen und die Wilden ausgesperrt und dem Festkrallen an alten Erfolgsrezepten geopfert hat – was im Fußball dann offenkundig doch rascher bestraft wird als im „wirklichen Leben“.
Marcel Reif kommentierte zum Gewinn der WM 2006 durch die Italiener sinngemäß: „Man darf so spielen; und die anderen müssen sich überlegen, wie sie darauf reagieren“. Nun steht fest: Man darf – leider – so spielen, aber man sollte nicht hoffen, damit auf ewig durchzukommen. Die Erkenntnis sollten sich nicht nur Fußballtrainer hinter die Ohren schreiben.

GRIECHENLAND war auch dabei. Es ist ja so, dass der Mensch den vermeintlich Kleinen und Schwachen (trotz Europameisterschaft 2004) den gleichen Mist eher verzeiht als den Arrivierten. Aber diesmal gab‘s nichts zu verzeihen, eher zu ignorieren. Auch hier wieder: Sture alte Männer sitzen auf ihren Pfründen, weigern sich umzudenken, halten die Jungen und Wilden raus, setzen auf ihre mittelalterlichen Gefolgsleute, wollen auf keinen Fall einen Fehler machen (das ist natürlich schon der größte von allen) und – scheitern.
Auf die Tatsache, dass Otto der Rehakles ein deutscher Export ist, müssen wir später noch eingehen. Was die Aussagekraft des Auftretens der griechischen Mannschaft im Hinblick auf den Zustand des Landes angeht, scheint die o.g. Hypothese jedenfalls plausibel zu sein.

Aber was folgt nun eigentlich aus der Vorstellung FRANKREICHs? Ein externer Kommentator der Süddeutschen Zeitung meinte dazu, man könne an dieser Geschichte erkennen, dass die Franzosen eben eine unverminderte Affinität zu Revolutionen hätten. Na ja, das wird aber dann eher eine etwas pathetische Affinität sein, sozusagen eine implodierende Revolution hinter den Kulissen: gegen eine echt geile Revolution (auch eine scheiternde) hätten wir jedenfalls nichts gehabt, wenn sie AUF DEM PLATZ stattgefunden hätte – dachte ich zunächst. Aber, vielleicht ist ja dieser ganze französische Zirkus starkes, wahres Theater gewesen. Das Stück spielte damit, dass die Zuschauer glauben sollten, die (Schau)Spieler stritten sich hinter den Kulissen mit dem Regisseur (und mit der Inspezientin und eigentlich mit dem Intendanten!) und würden nicht bemerken, dass sich mittlerweile der Vorhang gehoben hat und nun das ganze Schlammasell für alle Zuschauer sichtbar wird. Als sie nun das Publikum bemerken, streuen sie pflichtgemäß hier und da Textpassagen aus dem angekündigten Stück ein, führen aber den Hinterbühnenstreit derweil weiter fort. Die Mehrheit der Zuschauer fühlt sich geprellt, aber Eingeweihte und Kenner realisieren, dass hier großes, revolutionäres Theater aufgeführt wird: Ein Menetekelstück, scheinbar närrisch, aber von weitreichender Subtilität: Denn was die französische Nationalmannschaft mit diesem Stück erreicht hat, ist den wunderbar gewebten Gobelin herunterzureißen, den Frankreich zwischen sich und die Welt gehängt hat, damit der kleine President und seine schöne Frau davor auftreten können. In Wirklichkeit, so zeigt das Stück der „Bleus“ (und eben nicht der „Blöd“, wie die BILD meinte), gärt es in Frankreich, gibt es eine Menge ernsthafter und gefährlicher Konflikte zwischen ethnische und sozialen Gruppen aufzuarbeiten, gilt es vor allem aufzubegehren gegen verknöcherte Autoritäten, zentralistischen Steuerungswahn, die alte Ile de France-Arroganz undundund. So nutzt man den Fußball zur globalen Kommunikation, schlägt dem Blatter ein Schnippchen, und definiert endlich Profitum um – ein wahrer Profi ist eben KEIN perfekter Sklave (das wäre die Profidefinition von Managern), sondern ein Mensch, der es schafft, aus seiner Position heraus im richtigen Moment etwas Bedeutendes zu tun (auch: zu äußern). Eindeutig die politischste Mannschaft des Turniers, bravo, jeanbrasse.

Ob PORTUGAL aus diesem Turnier lernt, dass man mit der ganzen Macho-Scheiße heute einfach keinen Blumentopf mehr gewinnen kann? Schon das Getrete mit der alten Kolonie Brasilien war mehr als öde. Dass ich das Scheitern des Schönlings Ronaldo mit unverhohlener Genugtuung quittiere, ist das nun meine Schuld oder die von Real Madrid, der Werbeindustrie und Ronaldonarziss persönlich? Außerdem muss man kein Republikaner sein, wenn man sich jeden Vergleich von Ronaldo beim Freistoß mit John Wayne verbittet. Nach wie vor steht der Befund: Portugal hat der Welt den Fado gebracht (den wird sie auch dringend brauchen) und ein Mariza-Konzert schlägt jeden Auftritt dieser Nationalmannschaft um Längen.

Rätselhaft dagegen die SPANIER. Ist eigentlich schon mal jemand aufgefallen, dass die Spanier genauso spielen wie die HOLLÄNDER, nur ohne Robben? Merkwürdig: Auf den Satellitenbildern schauen ja auch weite Regionen SPANIENS genauso aus wie HOLLANDS (mit dem Unterschied, dass, wo in Holland GLAS verwendet wird, in Spanien PLASTIKplanen vorherrschen). Gibt es etwa einen übergreifenden GEWÄCHSHAUSGEMÜSEFUSSBALLSTIL??-!!!!-? Schaut auf den ersten Blick makellos aus, ist glatt poliert, aber ohne Aroma, Geschmack, Vitamine, sortenreine EU-SCHEISSE, also supererfolgreich (auch weil: subventioniert), aber ohne Schönheit, ohne Charakter, ohne (lebenswerte) Zukunft? Sind die Spanier die Holländer des Südens? Keine Ahnung: Ich will mich dazu garnicht äußern. Aber merkwürdig ist es schon…

Bleiben wir für heute in EUROPA und da ist ja dann u.a noch DEUTSCHLAND. Und jetzt muss doch kurz nochmal erinnert werden an die Ausgangsidee dieses Beitrags: Es gibt eine Hypothese, nach der das Auftreten und der Spiel-Stil einer Nationalmannschaft massenhaft Rückschlüsse zulassen auf den Zustand der von ihr repräsentierten Nation: auf soziale, kulturelle, politische, wirtschaftliche Trends, Entwicklungen, Mentalitäten. Fußball als Orakel quasi, nur viel deutlicher, Tacheles-Orakel sozusagen. Und dann also diese Nationalmannschaft, diese Spiele. Und da hätte ich ehrlich gesagt schon gerne, dass diese Hypothese stimmt. Weil: Dann wären wir um Klassen, Klassen besser, als es unsere Regierung ist und unsere Etablierten vermuten lassen. Dann wären wir eine Gesellschaft, die Komplexität organiseren kann, ohne die wichtigsten Ressourcen auszugrenzen (zum Beispiel: die Jungen und die Wilden und die Erfahrenen und die Zugereisten!). Dann wären wir eine integrative Kultur, die verschiedene Stile und Herkünfte zusammenbringen kann (und zwar: nicht planlos, aber auch nicht diktatorisch autoritär). Dann wären wir eine Kultur, der gemeinsame Entwicklung und Entfaltung von Begabungen wichtiger ist als Misserfolgsverhinderung. Dann wäre es logisch, dass wir einen Rehagel ziehen lassen, weil er bei uns nicht mehr reinpasst. Dann wären wir selbstbewusst, ohne arrogant zu sein. Dann könnte man sich ein Vorbild an uns nehmen, ohne dass wir denken müsste, man schaue zu uns auf. (Dass die englische/britische Presse trotz dieses inversen Wembley-Tores konstatiert hat, dass wir den besseren, jüngeren, frischeren Fußball gespielt haben – neidlos – anerkannt hat ist doch eine positive Überraschung! ENGLAND also: erst verknöchert, altbacken, altmodisch, aber auch positiv traditionell, wenn es um Fiarplay und Sportmanship geht – und jetzt vielleicht sogar lernfähig und wer weiß, vielleicht werden sie sich sogar demnächst wieder an Locke und Hume erinnern, während den Italieniern immer nur Machiavelli einzufallen scheint. )

Deutschland ausgerechnet scheint zu versuchen, um Effektivität und Ordnung einerseits, Spiel und Schönheit andereseits zu verbinden. Ausgerechnet Deutschland kann jetzt auch verlieren, ohne danach Katzenjammer verspüren zu müssen. Deutschland hat sich auf den Weg gemacht und erntet dafür Anerkennung im Inland wie im Ausland. Sehr merkwürdig… Vielleicht gibt es ja (wieder einmal) zwei Deutschland: Das eine, das gerade mit Hängen und Würgen einen Parteihansel von Parteihanseln hat zum Bundespräsidenten wählen lassen, ohne irgend ein Gespür für Würde, für die Stimmung im Lande, für das, was Demokratie lebendig und manchmal sogar schön erscheinen lassen könnte – und das andere Deutschland, das bei allen Schwächen und Defiziten, die man alltäglich beobachten kann, doch aus vielen Menschen besteht, die sich etwas Besseres vorstellen können, die Besseres durchaus zu schätzen wissen – etwa das Gegenmodell, das die Nationalmannschaft gerade vorführt: Vielleicht ist ja diese Mannschaft durchaus auch „politisch“ – nicht so absurd konsequent und revolutionär wie die der Franzosen, aber immerhin.

hs