WM Zwischenbilanz (Teil I)

Wow! So ein fußballfreier Tag während der WM eröffnet freien Raum in Hülle und Fülle. Spielen wir also mal einen Pass in die Tiefe.

Unter altgedienten Beobachtern des internationalen Fußballs ist ja die Annahme weit verbreitet, Auftreten und Spielweise von Nationalteams verrieten einiges über den Zustand ihres Herkunftslandes. Wenn wir nun mal so tun, als sei diese Hypothese zutreffend (für Popperianer: bisher trotz heftiger Bemühungen wissenschaftlicher Art noch nicht falsifiziert), was ergäben sich dann für Folgerungen angesichts der bisherigen Spiele…

…etwa hinsichtlich des Auftritts von ITALIEN…?!!!!! Angetreten mit völliger Selbstüberschätzung und der klassischen Mischung aus Arroganz, Zynismus, Pragmatismus, was aber alles nicht mehr trägt. Auch ein Aufbäumen in letzter Minute, Trotz und Stolz, hilft da nichts mehr – es war einfach zu spät. Ob ein Land, das zum wiederholten Mal einen Typen wie Berlusconi gewählt hat, dessen Hauptidentifikationsangebot für viele Italiener darin besteht, dass er genauso bauernschlau und verschlagen, „furbo“ ist, wie sie es selbst gerne sein möchten, sich in absehbarer Zeit wird aufrappeln können, ist nicht sehr wahrscheinlich. Italien, früher Sehnsuchtsort aller, die die Schönheit lieben, hat schon seit geraumer Zeit kaum etwas versäumt, um seinem Fußball und seinem Land die Schönheit auszutreiben.
Kommt hinzu, dass man auch hier (und nicht nur hier!) die Jungen und die Wilden ausgesperrt und dem Festkrallen an alten Erfolgsrezepten geopfert hat – was im Fußball dann offenkundig doch rascher bestraft wird als im „wirklichen Leben“.
Marcel Reif kommentierte zum Gewinn der WM 2006 durch die Italiener sinngemäß: „Man darf so spielen; und die anderen müssen sich überlegen, wie sie darauf reagieren“. Nun steht fest: Man darf – leider – so spielen, aber man sollte nicht hoffen, damit auf ewig durchzukommen. Die Erkenntnis sollten sich nicht nur Fußballtrainer hinter die Ohren schreiben.

GRIECHENLAND war auch dabei. Es ist ja so, dass der Mensch den vermeintlich Kleinen und Schwachen (trotz Europameisterschaft 2004) den gleichen Mist eher verzeiht als den Arrivierten. Aber diesmal gab‘s nichts zu verzeihen, eher zu ignorieren. Auch hier wieder: Sture alte Männer sitzen auf ihren Pfründen, weigern sich umzudenken, halten die Jungen und Wilden raus, setzen auf ihre mittelalterlichen Gefolgsleute, wollen auf keinen Fall einen Fehler machen (das ist natürlich schon der größte von allen) und – scheitern.
Auf die Tatsache, dass Otto der Rehakles ein deutscher Export ist, müssen wir später noch eingehen. Was die Aussagekraft des Auftretens der griechischen Mannschaft im Hinblick auf den Zustand des Landes angeht, scheint die o.g. Hypothese jedenfalls plausibel zu sein.

Aber was folgt nun eigentlich aus der Vorstellung FRANKREICHs? Ein externer Kommentator der Süddeutschen Zeitung meinte dazu, man könne an dieser Geschichte erkennen, dass die Franzosen eben eine unverminderte Affinität zu Revolutionen hätten. Na ja, das wird aber dann eher eine etwas pathetische Affinität sein, sozusagen eine implodierende Revolution hinter den Kulissen: gegen eine echt geile Revolution (auch eine scheiternde) hätten wir jedenfalls nichts gehabt, wenn sie AUF DEM PLATZ stattgefunden hätte – dachte ich zunächst. Aber, vielleicht ist ja dieser ganze französische Zirkus starkes, wahres Theater gewesen. Das Stück spielte damit, dass die Zuschauer glauben sollten, die (Schau)Spieler stritten sich hinter den Kulissen mit dem Regisseur (und mit der Inspezientin und eigentlich mit dem Intendanten!) und würden nicht bemerken, dass sich mittlerweile der Vorhang gehoben hat und nun das ganze Schlammasell für alle Zuschauer sichtbar wird. Als sie nun das Publikum bemerken, streuen sie pflichtgemäß hier und da Textpassagen aus dem angekündigten Stück ein, führen aber den Hinterbühnenstreit derweil weiter fort. Die Mehrheit der Zuschauer fühlt sich geprellt, aber Eingeweihte und Kenner realisieren, dass hier großes, revolutionäres Theater aufgeführt wird: Ein Menetekelstück, scheinbar närrisch, aber von weitreichender Subtilität: Denn was die französische Nationalmannschaft mit diesem Stück erreicht hat, ist den wunderbar gewebten Gobelin herunterzureißen, den Frankreich zwischen sich und die Welt gehängt hat, damit der kleine President und seine schöne Frau davor auftreten können. In Wirklichkeit, so zeigt das Stück der „Bleus“ (und eben nicht der „Blöd“, wie die BILD meinte), gärt es in Frankreich, gibt es eine Menge ernsthafter und gefährlicher Konflikte zwischen ethnische und sozialen Gruppen aufzuarbeiten, gilt es vor allem aufzubegehren gegen verknöcherte Autoritäten, zentralistischen Steuerungswahn, die alte Ile de France-Arroganz undundund. So nutzt man den Fußball zur globalen Kommunikation, schlägt dem Blatter ein Schnippchen, und definiert endlich Profitum um – ein wahrer Profi ist eben KEIN perfekter Sklave (das wäre die Profidefinition von Managern), sondern ein Mensch, der es schafft, aus seiner Position heraus im richtigen Moment etwas Bedeutendes zu tun (auch: zu äußern). Eindeutig die politischste Mannschaft des Turniers, bravo, jeanbrasse.

Ob PORTUGAL aus diesem Turnier lernt, dass man mit der ganzen Macho-Scheiße heute einfach keinen Blumentopf mehr gewinnen kann? Schon das Getrete mit der alten Kolonie Brasilien war mehr als öde. Dass ich das Scheitern des Schönlings Ronaldo mit unverhohlener Genugtuung quittiere, ist das nun meine Schuld oder die von Real Madrid, der Werbeindustrie und Ronaldonarziss persönlich? Außerdem muss man kein Republikaner sein, wenn man sich jeden Vergleich von Ronaldo beim Freistoß mit John Wayne verbittet. Nach wie vor steht der Befund: Portugal hat der Welt den Fado gebracht (den wird sie auch dringend brauchen) und ein Mariza-Konzert schlägt jeden Auftritt dieser Nationalmannschaft um Längen.

Rätselhaft dagegen die SPANIER. Ist eigentlich schon mal jemand aufgefallen, dass die Spanier genauso spielen wie die HOLLÄNDER, nur ohne Robben? Merkwürdig: Auf den Satellitenbildern schauen ja auch weite Regionen SPANIENS genauso aus wie HOLLANDS (mit dem Unterschied, dass, wo in Holland GLAS verwendet wird, in Spanien PLASTIKplanen vorherrschen). Gibt es etwa einen übergreifenden GEWÄCHSHAUSGEMÜSEFUSSBALLSTIL??-!!!!-? Schaut auf den ersten Blick makellos aus, ist glatt poliert, aber ohne Aroma, Geschmack, Vitamine, sortenreine EU-SCHEISSE, also supererfolgreich (auch weil: subventioniert), aber ohne Schönheit, ohne Charakter, ohne (lebenswerte) Zukunft? Sind die Spanier die Holländer des Südens? Keine Ahnung: Ich will mich dazu garnicht äußern. Aber merkwürdig ist es schon…

Bleiben wir für heute in EUROPA und da ist ja dann u.a noch DEUTSCHLAND. Und jetzt muss doch kurz nochmal erinnert werden an die Ausgangsidee dieses Beitrags: Es gibt eine Hypothese, nach der das Auftreten und der Spiel-Stil einer Nationalmannschaft massenhaft Rückschlüsse zulassen auf den Zustand der von ihr repräsentierten Nation: auf soziale, kulturelle, politische, wirtschaftliche Trends, Entwicklungen, Mentalitäten. Fußball als Orakel quasi, nur viel deutlicher, Tacheles-Orakel sozusagen. Und dann also diese Nationalmannschaft, diese Spiele. Und da hätte ich ehrlich gesagt schon gerne, dass diese Hypothese stimmt. Weil: Dann wären wir um Klassen, Klassen besser, als es unsere Regierung ist und unsere Etablierten vermuten lassen. Dann wären wir eine Gesellschaft, die Komplexität organiseren kann, ohne die wichtigsten Ressourcen auszugrenzen (zum Beispiel: die Jungen und die Wilden und die Erfahrenen und die Zugereisten!). Dann wären wir eine integrative Kultur, die verschiedene Stile und Herkünfte zusammenbringen kann (und zwar: nicht planlos, aber auch nicht diktatorisch autoritär). Dann wären wir eine Kultur, der gemeinsame Entwicklung und Entfaltung von Begabungen wichtiger ist als Misserfolgsverhinderung. Dann wäre es logisch, dass wir einen Rehagel ziehen lassen, weil er bei uns nicht mehr reinpasst. Dann wären wir selbstbewusst, ohne arrogant zu sein. Dann könnte man sich ein Vorbild an uns nehmen, ohne dass wir denken müsste, man schaue zu uns auf. (Dass die englische/britische Presse trotz dieses inversen Wembley-Tores konstatiert hat, dass wir den besseren, jüngeren, frischeren Fußball gespielt haben – neidlos – anerkannt hat ist doch eine positive Überraschung! ENGLAND also: erst verknöchert, altbacken, altmodisch, aber auch positiv traditionell, wenn es um Fiarplay und Sportmanship geht – und jetzt vielleicht sogar lernfähig und wer weiß, vielleicht werden sie sich sogar demnächst wieder an Locke und Hume erinnern, während den Italieniern immer nur Machiavelli einzufallen scheint. )

Deutschland ausgerechnet scheint zu versuchen, um Effektivität und Ordnung einerseits, Spiel und Schönheit andereseits zu verbinden. Ausgerechnet Deutschland kann jetzt auch verlieren, ohne danach Katzenjammer verspüren zu müssen. Deutschland hat sich auf den Weg gemacht und erntet dafür Anerkennung im Inland wie im Ausland. Sehr merkwürdig… Vielleicht gibt es ja (wieder einmal) zwei Deutschland: Das eine, das gerade mit Hängen und Würgen einen Parteihansel von Parteihanseln hat zum Bundespräsidenten wählen lassen, ohne irgend ein Gespür für Würde, für die Stimmung im Lande, für das, was Demokratie lebendig und manchmal sogar schön erscheinen lassen könnte – und das andere Deutschland, das bei allen Schwächen und Defiziten, die man alltäglich beobachten kann, doch aus vielen Menschen besteht, die sich etwas Besseres vorstellen können, die Besseres durchaus zu schätzen wissen – etwa das Gegenmodell, das die Nationalmannschaft gerade vorführt: Vielleicht ist ja diese Mannschaft durchaus auch „politisch“ – nicht so absurd konsequent und revolutionär wie die der Franzosen, aber immerhin.

hs

Photographie als Wahrheitsserum

Wanderer, kommst Du in diesen Wochen nach München und gehst nicht in die Michael Schmidt-Retrospektive ins Haus der Kunst, dann – ja dann schlaf weiter!

Wenn man durch diese Ausstellung geht und die (mit wenigen Ausnahmen) ganz tradtionell-analogen Photographien betrachtet, wird einem nach und nach (und durchaus mit einer gewissen, zunehmenden Beklemmung) klar, in einer wie visuell und ikonisch verseuchten Welt wir mittlerweile leben (müssen). Spätestens zwischen diesen ausschließlich schwarzweiß gehaltenen Porträts von Menschen, Städten, Gebäuden, Geländen wird deutlich, dass es sich beim Begriff „Bilderflut“ angesichts der Myriaden von bunten, glatten, gephotoshopten Fotos, mit denen wir jeden Tag zugesch(m)issen werden, um einen argen Euphemismus handelt: It‘s a shitstorm, stupid! (Und natürlich bezieht die Arbeit von Schmidt aus diesem heftigen Kontrast auch einen Teil ihrer Kraft – aber das ist ja der Witz an der Kunst, die Sichtbarmachung der Unterschiede, die wirklich einen Unterschied machen).

Ganz nebenbei erzählt die Zusammenstellung der Schmidtschen Potographien aus vier Jahrzehnten auch auf subtile und gleichzeitig aufregend rücksichtslose Art die Nachkriegsgeschichte (der beiden) Deutschlands nach, und wer noch nicht ganz blind geworden ist von all den Bildern, mit denen uns die Medien unsere Geschichte vorkauen und nachzehren, dem wird hier plötzlich schlagartig (oder wahlweise: wieder einmal) klar, dass es mitnichten nur unsere Brüdern und Schwestern im Osten sind, die man in den vergangenen Dekaden kräftig verarscht hat: Und das ist das eigentlich irre an den Bildern, dass man buchstäblich sehen kann, wie man mit unterschiedlichen Methoden zum gleichen Ergebnis gelangen kann: Den Menschen die Seele zu quetschen, die Lebensfreude, den Sinn für Schönheit auszutreiben (und auch hier sind die Ausnahmen wieder sehenswert: die Porträts der Trotzigen).

Was man auch sehen und geradezu be-greifen kann in dieser Werkschau ist, dass die künstlerische Darstellung (im Sinne von: Kenntlich-Machung) der Realität mit den Mitteln der Photographie nichts mit „realistischer“ Abbildung zu tun hat, sondern alles mit Gestaltung, Begrenzung, Weglassen, Konzentration, Modellierung (anstelle von: Glättung) – also mit Kunst. Man kann hier durchaus (und wieder mit einem gewissen Erschrecken) lernen, wie sehr man es uns abtrainiert hat, hinzuschauen und zu sehen, was da ist (und dahinter steckt). Im gewissen Sinne arbeitet die Bildindustrie seit Jahrzehnten an unserer Ver-Blödung im alten Sinne des Wortes: Wir sollen blind werden für das, was hinter den Bildern steckt und blind für das Programm, das in ihnen steckt. Michael Schmidts Photos sind da ein wirksames Gegengift.

Also lieber Wanderer: Lass Dich um Himmels willen nicht von dem Ausstellungstitel „Grau als Farbe“ abschrecken (Wo lernt man eigentlich, solche Titel zu generieren: im Kunstgeschichtestudium?). Eine Photozyklus von Schmidt aus den Jahren kurz vor dem Mauerfall heißt übrigens „Waffenruhe“: Wenn man seine Retrospektive in diesen Tagen so anschaut, spürt man: Waffenruhe wird, wenn wir hier so weitermachen, nicht mehr lange herrschen.

hs

Wieder zurück in good old Germany – na ja.

Drei Wochen kein TV, keine Zeitung, ja, auch kein web welcher Zählung auch immer. Die Erhaltung seelischer Balance und geistiger Gesundheit erfordert temporäre mediale Abstinenz mindestens ebenso sehr wie größte Sorgfalt bei der Auswahl geistiger Getränke.

Höchst interessant, wie sich dann dem Heimkehrer nach und nach die Puzzleteile der bereits wieder verrottenden Aktualitäten der vergangenen Wochen präsentieren: Teils als Inhalt von Gesprächen (Gesprächspartner, aus heiterem Himmel: „Also ich finde, der Köhler hat ganz recht.“ ICH: „Womit?“ Gesprächspartner: „—!!!!!!—??!!?“ ICH:“???—.“ Gesprächspartner: „Du hast nicht mitgekriegt, dass der Köhler zurückgetreten ist!!!!“); teils rekonstruierbar aus medialer Resteverwertung: Eine Seite über Raab Stefan in einer sich selbst für äußerst wichtig haltenden Wochenzeitung: Hat Lena etwa…? Ja, sie hat. (Gesprächspartner: „Wir haben gewonnen!“ respektive Tenor eines anderen Printmediums: Man mag uns also doch in Europa ((irgendwie nicht aber in Israel…)) Apropos Israel — nee, das lassen wir lieber weg. (Auf diesen Casus bin ich erst durch eine eMail des Hanser-Verlages gestoßen, der mich darüber informierte, dass Henning Mankell inzwischen wieder freigelassen und auf dem Weg in die Heimat sei. Also schnell suchmaschinen, was denn eigentlich passiert war. F****. DARÜBER hat komischerweise keiner meiner Gesprächspartner berichtet. ???–!!. Über Koch Roland aber schon).

Ach so: Da war ja noch das Sparpaket. Da informierten mich die Medien am Morgen nach meiner Rückkehr aufs Unmittelbarste: Bei der (nicht ganz einfachen) Suche nach genießbarem Essen plötzlich Überfall eines Fernsehteams:
Fernsehmensch, Mikro in Richtung meines Gesichts rammend: „Was sagen Sie vom Sparpaket der Bundesregierung!!!“ ICH: „—???—.“ Meine Retterin, eine etwa 60jährige, ziemlich korpulente Dame, die sich während meiner nicht gelingenden Textproduktion an mir vorbeigedrängt hat: „Die sollen doch erst mal selber sparen!!!!!“ Fernsehmensch, jetzt das Mikro der Dame mit einer etwas obszön wirkenden Geste direkt vor‘s Gebiss stoßend: „Können Sie das bitte nochmal…“

Luhmanns schönes Bonmot, die Werbung sei die Selbstorganisation der Torheit, kommt mir in den Sinn. Ich nehme an, er hätte angesichts des Vorgefundenen nichts dagegen, diese Attribuierung etwas auszuweiten.

Yeah: Back home. Jetzt schnell in die schöne, schattige Tändlergasse abbiegen und nachschauen, ob das herrliche Stencil noch da ist: Ja, der kleine Rapper grinst immer noch von der Wand: „Schock deine Homies – Lies ein Buch!“

Genau: Mach ich.

hs

Laut.

So eine kleine Extraktion ist ja eigentlich ein „piece of cake“.
Was mich aber heute echt fertig gemacht hat, war das zirkumpolare abschneiden der real existierenden Krone mit Metallkern. „Das waren noch Zeiten!“, meinte die Ärtztin lapidar dazu, als sie zum wiederholten male eine Art Miniflex zum Ansatz brachte, deren Geräusch mir schier die Schädeldecke wegzusprengen drohte. Nie in meinem Leben habe ich ein derart lautes Geräusch gehört. Auf meine Anweisung hin hat sie dann einen anderen Schneider/Bohrer verwendet, der zwar länger zuwerke ging, meine Gehörnerven aber weniger strapazierte. Was lernen wir daraus? Es gibt für alles das richtige Werkzeug – deswegen sind wir Menschen und keine Affen – aber nur die schlauen Affen wissen, welches das Richtige ist. In der Politik soeben zu bewundern. Und in der Kultur ebenfalls. Die Kunsthalle hat jetzt 5 Monate geschlossen. Wegen Geld- bzw. Werkzeug-Mangels.

Arkadien.

Wer es nicht erlebt hat, wird es sich kaum vorstellen können.
Der Streifen Südfrankreich, der in meinem Herzen wohnt, ist stärker als jede Urlaubswerbung und jedes Klisché. Es zu verlassen führt – wie ein guter Freund mir sagte – zu „unendlicher Wehmut“. So ist es, und zudem ein Beweiß dafür, dass die maßvolle Vermengung von Natur und Kultur das hervorbringt, nach dem das Herz des Epikuräers trachtet: Einheit von Geist und Materie, Sinnlichkeit und Ordnung.

Und nochmal leck‘ mich am Arsch.

Kein Wunder.

Kein Wunder, daß einen nach einer Woche Deutscheland der große Kater überfällt. Der, der mit den Krallen des Totalitären ebenso zu überzeugen weiß, wie mit dem Schnurren der Organisation. Es ist schon seltsam, dieses Gemenge aus Perfektion und Seelenlosigkeit als unmittelbar lebens- und sinnesfeindliches Konstrukt erleben zu müssen und sich dennoch irgendwie wohlzufühlen darin. Keine Seele, aber gut organisiert; mittelbar die Begründung seiner selbst: wenn Du Dich nicht ganz wohl fühlst, hast Du’s begriffen. Und: wir sind nicht dafür da, dass es Dir behaglich sei. Mittelfristig: leiste was, dann gehts Dir besser. Längerfristig: schaffe etwas, dann geht es uns allen gut. Will ich aber nicht. Leckt mich am Arsch, Ihr verdammten Pharisäer.

Fallhöhe.

Bei Rückkehr: Hoch. So hoch, dass man verzweifeln möchte ob der mangelnden Sensibilität, der primitiven Codes und der Vulgarität der Sprache. Kein Wunder, dass sich die Franzosen nicht darauf einlassen. Vom Essen gar nicht zu reden: wenn ich hier auf der Straße nach etwas geniessbarem suche, werde ich mit grausamen Erfindungen der Convienience-Kultur konfrontiert, waehrend ich mich DORT gar nicht entscheiden kann.
Und ein nachmittäglicher Ausflug im 4er Bus mit 13-jährigen Schulrepatriaten macht klar, dass die meistbenutzte Vokabel tatsächlich „Digger“ ist. Pauvre de nous! Auch wenn ich mir der armseligen Alterserscheinung einer solchen Beschwerde bewusst bin, ist die Analyse des Großstadtzustandes doch niederschmetternd. Bald mehr dazu.
Trotzdem schön; Hamburg im endlichsommer.