Blickfang.

Eine Designmesse also sollte es sein. Der Flyer lag in aufdringlich pinklastiger Kartonage so lange herum, dass er – ganz im Gegensatz zu Anderen seiner Art – bis zum tatsächlichen Zeitpunkt der Veranstaltung in unserer Wohnung überlebt hatte. Nungut, Ehre, wem Ehre gebührt und ein latentes Schnäppchenjägersyndrom im Hintergrund da hin; wenig Erwartung, viel Eintritt.

Und zu meiner großen Überraschung fanden sich, ohne langes Suchen, schon gleich zu Beginn Artefakte, die sowohl geschmackvoll, als auch durchdacht und manchmal gar von einer wirklich guten Idee durchdrungen waren. Insofern, als dass die Form ansprechend, die Funktion erfüllt und der Effekt besonders waren. Reflex: „bestimmt sackteuer, der geile Kram“. Aber wieder nein. Man musste nicht einmal den bereits recht präsenten 3-D-Drucker bemühen, um mit modernen Techniken, angewandt auf allerlei Materialen von Bambus bis „Fein-Polistirol“ (auf gut Deutsch: es gibt noch keinen Namen dafür), Objekte zu kreiieren, die selbst mich als Materialverächter in den Bann zu ziehen vermochten.

Und dann fragt man(n) leicht hämisch nach dem Preis, und, äh, da müsste dann schon Ikea oder H&M herhalten, um ihn massiv zu unterbieten. Will sagen: für handgemachtes, Kleinstserien und massgeschneidertes muss man offensichtlich nur bereit sein, 10% mehr zu zahlen – als in jeder Schreinerei, einem Einrichtungshaus oder einer Mode-Boutique. Die Qualitäten der Materialien sind aber teilweise exquisit und weit von Massenware entfernt. Nur das Finden dieser Pioniere ist schwierig, und die haben alle kein Geld, sich breiter bekannt zu machen. Also kam auch noch so eine Art „Exklusivitätseffekt“ dazu, der dann alles adelt, worauf Du geruhst, Deine Augen zu richten.

Schönes Ding. Aber jetzt mal sachlich: gute Statik macht tolle Optik, Weglassen ist das neue Schwarz, und never forget function scheint inzwischen Lehre zu sein. Herzlichen Dank dafür. Und weil die Überraschungen zu Qualität der Ausführung, Liebe zum Detail und Formenimagination eine Wohltat für die Augen und das Schamgefühl waren. Und für den massgeschneiderten Rock meiner wunderschönen Frau. Der kommt dann im Frühjahr aus Serbien.

Wenn es das bis dahin noch gibt.

Algofaschism.

Wenn Amazon Leuten Pakete schickt, die diese nicht bestellt haben und nur 40% davon zurückgeschickt werden und sie auch noch eine Set-top-box verkaufen, die genau registriert was wer zuhause wann macht, und die meisten Menschen auf Facebook seit über 5 Jahren ihr Profilbild nicht geändert haben, und es weit über eine halbe Million Schönheits-OP’s (pro Jahr!) allein in Deutschland gibt, dann sollte das einem zu denken geben. Und zwar weil die Oberfläche jeden tieferen Handlungsgrund ansaugt. Überall, wo eine leicht zu bespielende Fläche zur Verfügung gestellt wird (der freie Wille gilt), wird sie als Weg des geringsten Widerstandes gerne als Spielfeld gewählt. Was für ein Deal! Wenn jemand weiss, was ich gerne will, darf er auch über mich verfügen.

Das heisst aber unter Umständen auch, dass ich nie etwas anderes wollen werde. Mangels Alternativen, Angebot, Neugier und „Trouvaillen“. Diese Oberflächlichkeit also (gesteuert!) systemimmanent wird und sich nur die wenigsten damit trösten können, endlich die „richtige“ Musik zu hören, die „bösen“ TV-Series zu sehen und plötzlich viele „Freunde“ zu haben. Wo sie doch schon in der Schule ein Arsch waren, keine Haltung gezeigt und zu Recht keine Kumpels hatten.

Aber eben auch, weil die daraus resultierende kulturelle Abwärtsspirale des „more of the same“ der Verkaufsalgorythmen – mittelbar also die im Vorfeld des Angebots berechneten Konstanten

– stehengebliebenes kulturelles Interesse (weil algofaschistoides Angebot),,

– indifferente Kommunikation (weil Facebook, Parship etc…) und

– gleichbleibendes Alter(Ego) ((weil Titten, Nasen, Botox))

eine Art Vektor der Berechenbarkeit bilden – jedwede Exploration des Unbekannten, Niegehörten oder Unbesehenen offensichtlich keinen Wert „per se“ mehr darstellt. Nicht mehr zur Erziehung gehörend. Ohne soziale Belohnungsmechanismen. Nicht einmal mehr staatstragend. Eben dieser hat übrigens heute per Verfassungsgericht festgestellt, dass die katholische kirche (immer kleinschreiben!) ein rechtsfreier Raum ist, in dem die Pfaffen machen, was sie wollen. Die staatlich sanktionierten Anal-Bleacher.

Will sagen: wenn uns ein paar Clevere versuchen vorzumachen, sie wüssten besser als wir selbst, was gut, schön und ehrenwert ist, dann haben sie die Rechnung ohne die Unbekannten und die Suchenden gemacht. Wir werden weiter stöbern, über die Schulter gucken und uns lustvoll irgendwohin verirren. Die offenen Synapsen werden ihren Dienst nie einstellen. Die Unvoreingenommenheit gegenüber neuen Idéen wird nicht schwinden; die Freude am Neuen nicht verblassen und die Bereitschaft, überrascht zu werden, nicht weniger. Die Fakten sind zwar niederschmetternd, aber ich will einfach nicht aufgeben zu glauben, dass es noch Leute gibt, die selbst(bewusst) entscheiden, was sie tun oder konsumieren und sich sowohl darüber Gedanken machen, als auch dazu, was es wohl noch zu entdecken gibt. In der realen Welt.

Als unverbrüchlich humanistischer Misanthrop glaube ich natürlich kein Wort von dem, was ich schreibe. Zur Erklärung: ich kann die Leute nicht ausstehen – aber ich helfe ihnen gerne.

 

Kmg.

Kunst macht glücklich.
Von 200,- bis 7.500,- € war die Ansage der „Affordable Art Fair“. Ganz günstig für Glück. Persönlich fand ich zwar, dass das wahre Glück erst bei € 2.000+ anfängt aber sei’s drum. Zahlen sollte man dann, wenn sich etwas aufdrängt; wenn ein Bild oder Bildnis zwingend wird; wenn es schreit, dass erstmal der Preis egal wäre, und man dann erst guckt … und es plötzlich im Rahmen des Möglichen das Gehirn verdreht, den Puls erhöht und einen imaginären Platz in der Wohnung einnimmt (ein weit unterschätztes Kriterium).

In allem was da hängt, liegt, steht, sieht man Gestaltungswillen und Mut und Wollen. Das ist schockierend, in der Menge.

Von Fotografen, die sich kreativ und am Computer überschlagen, weil sie glauben, vielleicht keine Künstler zu sein und farbigst möglich dagegen anstinken; gerne mit Ausflügen in den „real deal“ (Scorsese revisited), bis zu mexicanischen Hyperrealisten mit Hang zum Melodramatischen (nichts neues) und neuer Deutscher Sachlichkeit 2.0 war alles dabei, was einen langweilt. Dann schärft sich der Blick, die Ecken werden erkundet, die Zweitpassagen aufmerksamer,; der Gesamteindruck fließt in die Einzelheit. Dann stechen plötzlich Artefacte hervor, die im Vorbeigehen untergegangen, später im Zurückeilen überflogen wurden. Fotos, die Fotos sein wollen; Bilder in Öl, die genau das sind; und Mixed Media, die mixed media sind.

Erstaunlich finde ich nachträglich vor allem, dass Die Sachen Sachen sind. Und wenn sie mehr sind als Sachen, dann sind sie einer genaueren Betrachtung Wert. Und wenn sie dann noch viel mehr machen als Sachen, dann sind sie WERT, den inneren Kreis des privaten Lebens zu betreten – und sei es nur, an einer Wand.
Nach der Glocke um 18:00 Uhr (eingeschlichen) verwandelt sich die Kunst übrigens in Packware (siehe Keinbilder); fieses, empfindliches Zeug, das nervig in Bläschenfolie gepackt werden muss. Nimbus sofort verflogen, Glamour weg, Glanz wird zu Stückgut. Aber damit plötzlich greifbar als etwas physisches, als Material, als Format. Und allein das ist in Zeiten übergriffiger Virtualität schon wohltuend – auch wenn Meisterwerke verpackt werden wie Schweine auf dem Weg zum Schafott.

Grenzen.

Zwar habe ich viel gelernt in diesen Tagen der Deutsch-deutschen Besoffenheit, z.B. dass das System DDR keineswegs „befreit“ wurde (wer will sich schon von Helmut Kohl befreien lassen?) und auch nicht von oben unter dem Druck des Volkes von unten ein Einsehen hatte oder gar sanft revolutioniert wurde, sondern vielmehr ganz schlicht unter den Umständen kollabiert ist. Ressourcenknappheit, auch in der Argumentation, und die völlige Desillusion des handelnden Personals traf flächendeckend auf eine eher gemütlich installierte Masse von neugierig gewordenen Spießern. Also eher Opportunismus im Angesicht eines Macht- und Entscheidungsvakuums, als Freiheitsstreben oder gar ein „casus belli“.

Keinesfalls will ich den „Helden von Leipzig“ zu nahe treten. Und sicher haben sie den Stein ins Rollen gebracht und nicht die Berliner, die an der Bornholmer Straße „nur ma‘ Ku’damm kieken“ wollten und „Wir kommen wieder!““ skandierten. Man fragt sich nur, wieso das eigentlich fast 30 Jahre gedauert hat.

Das Zucken war kurz, der Eingriff beherzt, der Alltag schnell.

Diese Erkenntnis aber, die in ihrer Banalität in zahllosen O-Tönen und dramaturgischen Bearbeitungen geradezu brutal in meinem Bewusstsein aufschlug nachdem ich mir die Mühe gemacht habe, der Sache nach einem Vierteljahrhundert schwammiger Vorstellungen mit dem nötigen Ernst auf den Grund zu gehen, entwertet jedwede Träumerei von der (Chancen-)Gleichheit der Menschen auf eine so niederschmetternd dumpfe Weise, dass man sich wünscht, das Lüftlein von Freiheit in der vormaligen Ignoranz möge wieder wehen. Aber Wissen lässt sich leider nicht rückgängig machen.

Ebenso eingestürzt ist eine andere Grenze. Nämlich der letzte Funken Hoffnung und Glaube daran, dass die Finanz- und Informationswirtschaft sich in vertretbarem Maße selbst regulieren, den Bösen also ausreichend Gute gegenüberstehen. Doch siehe da: auch an dieser Front wird schnell und gründlich aufgeräumt. Nur das es in diesem Falle die Aufräumarbeiten sind, die einen schockieren. Über 3 Milliarden US$ (das sind 3.000 Millionen) gehen alleine von 5 Banken in USA und GB an diese Staaten (und dort in kaum kontrollierbare Kanäle) um die Manipulationen an den Devisenmärkten „ungeschehen“ zu machen. Und fast 80% der Informationswirtschaft (-kapitalismus kann man angesichts der Kräfteverhältnisse dazu ja nicht mehr sagen) liegt in den Händen einer handvoll Unternehmen, die „größer“ sind als die meisten Staaten der Erde – und sich auch so benehmen. It’s the economy, stupid?

Ich kann weder Börsenkauderwelsch noch sächsisch mehr hören, ohne Brechreiz kontrollieren zu müssen. Und „EGO“ von Schirrmacher treibt mir die Tränen in die Augen. Aber eines bleibt als zarter Hoffnungsschimmer im dunklen Tal des gnadenlosen Materialismus: Wir sind das Volk.

Wir sind das Volk. Vielleicht sollten wir uns daran öfter mal erinnern als alle 25 Jahre.