Kann es sein, dass Jean Brasse nun auch in Oberbayern gelesen wird, beispielsweise auf der platten Wiese abseits von München, wohin man schwäbischerseits glaubte, die Redaktionen der „Süddeutschen Zeitung“ zwangsumsiedeln zu müssen? Zumindest scheint die heutige Reflexion der Frage, welches Licht der Fall Guttenberg auf die Medien selbst wirft (Artikel auf der Medien-Seite von Hans Leyendecker), geradezu der Versuch einer Reaktion auf die von Jean Brasse jüngst aufgeworfenen Fragen.
Wer’s lesen mag wird festellen, dass die SZ die Klassifikation der Printmedien, mit der wir uns aus guten Gründen schwer tun, für sich scheinbar gelöst hat: Da gibt es, wörtlich, die „seriösen“ Medien (explizit paradigmatisch vertreten durch – oh Wunder – die „Süddeutsche“ und… die FAZ!) und es gibt in Opposotion dazu „Bild“, womit klar ist, dass aus Perspektive der SZ „Bild“ a) zur Klasse der nicht-seriösen Medien zu zählen ist und b) synekdochisch (*) für diese gesamte Klasse stehen kann. Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang, dass sich die SZ/der Autor dabei nicht einen Piep Mühe gibt, ihre/seine – ja durchaus wertende – Klassifikation argumentativ zu begründen: Was als medial und überhaupt „seriös“ respektive „nicht-seriös“ gelten soll, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Aus der Perspektive der SZ ist die Semantik von Seriosität also offenkundig nicht diskussionswürdig und -fähig (hat also den Charakter eines volxeignen Dogmas, vulgo Vorurteils): Mit anderen Worten: Die SZ macht eben auch nichts anderes als „Bild“, allerdings für eine andere Zielgruppe (und nimmt den Konkurrenten FAZ en passant gleich mit in Sippenhaft; super!). In grauer Vorzeit gab es ja mal den Spruch, der „Spiegel“ sei die „Bildzeitung für Intellektuelle“ – den Posten beansprucht jetzt also implizit die SZ. Ach ja: Der „Spiegel“ wird auch mehrmals erwähnt in dem Artikel, und, jetzt wird’s interessant, außerhalb der gegebenen Klassifikation, woraus wir also folgern müssen, dass aus Sicht der SZ der „Spiegel“ werder eines der „seriösen“ Medien ist, noch eindeutig den „nicht-seriösen“ zugeschlagen werden kann, also womöglich als einer angesehen wird, der gar nicht mitspielen darf, aber auch nicht ignoriert werden kann.
Auf die von ihm selbst aufgeworfene Frage nach der Rolle der Medien in dem ganzen Guttenberg-Drama, bleibt der Artikel übrigens jede ernst zu nehmende (= seriöse) Antwort schuldig. Wäre ja auch ein Wunder: „Selbstreflexion“ und „Selbstbespiegelung“ sind halt semantisch nicht dasselbe.
Worum geht es also wirklich? Nun, um genau das, was wir hier vor kurzem bereits diagnostiziert haben: Um die Etablierung einer ideologisch-moralischen Topographie der Medienlandschaft in den Köpfen der (eigenen) Leser; die Verortung der „guten, informierten, seriösen, kritischen, rationalen… Journalisten/Medien und ihrer Klientel“ vs. … (das kann ja jetzt jeder selber denken) – mit der interessanten Ausnahme derer im „Netz“, die – auffällig! – wieder nicht spezifiziert werden, weder auf Produzenten- noch auf Rezipientenseite (also: da will man es sich offenkundig nicht verscheißen!).
Was das ist? Ganz eindeutig als „Journalismus“ verbrämtes Marketing, ideologisches Grenzscharmützel, Gruppenidentitätsbeschwörungsritual auf dünnstem Eis [kann man schreiben: „auf dümmstem Eis“ -??!- nö].
Ach so: Wie kommen wir jetzt eigentlich zu dem „Ikarus“-Titel? Also: Irgend ein Autor/Medium hat die Tage diese Allegorie gezimmert: Guttenberg flog zu hoch, kam der Sonne der Medien-Popularität zu nah usf. Ach, der Vergleich ist schön, hat er doch das Potenzial, das Schicksal des Barons in archaisch-tragödische Sphären zu heben. Allerdings: mehrere Schönheitsfehler. Weil: Weder taugt der Baron, noch (und noch viel weniger) taugen die Medien zu solch einem Vergleich. Und selbst wenn sie taugten, müssten wir ja, nach allem bisher Gesagten, ein Universum wie in STAR WARS annehmen (man erinnert sich an den Heimatplaneten des jungen LUKE SKYWALKER): mit ZWEI Sonnen. In der Kosmologie der „Süddeutschen“ wäre dann Sonne Nr.1 BILD (von der ein Kollege jüngst sagte, sie habe sich so geriert, als hätte sie KT wahrhaftig selbst gezeugt), und diese Sonne wäre eben nicht gleichzeitig die strafende, die dem Frechling die falschen Flügel versengte, nein, dies wäre die Funktion und Rolle von Sonne Nr.2, der „seriösen“ – sprich „strafenden“ Sonne – die man sich aber nun wieder, wundersamer Weise, entsprechend der Kosmologie der „Süddeutschen“, als Doppelgestirn aus ländlich münchnerischen (SZ) und finanzmetropolitisch frankfurterischen (FAZ) Strahlkörpern vorzustellen hat.
Was lernen wir daraus? Dass die „seriösen“ Medien mit ihrem Selbstverständnis ungefähr da stehen, wo auch die (katholische) Kirche steht: Immer wenn Selbststilisierung und Selbstrechtfertigung derart verschwurbelte (Pseudo-)Theorien zu basteln anfangen, ist das ein deutliches Anzeichen für den Niedergang (ich empfehle hierzu ausdrücklich Michael Titzmanns wunderbares Buch über den Fall Galileo Galilei).
Insofern wir uns zur „Netzgemeinde“ zählen, verbitten wir uns in diesem Zusammhang jeden Versuch der Vereinnahmung durch die „Seriösen“: Mögen diese sich weiterhin für „Information“ zuständig fühlen – wir verstehen uns demgegenüber als Vertreter der Aufklärung.
(* „synekdochisch“: rhetorische Figur aus der Gruppe der Wortfiguren: Dabei wird ein Wort durch einen Begriff engerer oder weiterer Bedeutung, bzw. einen Ober- oder Unterbegriff ersetzt. Beispiel: „Unser täglich‘ Brot gib uns heute“. Brot = Bild / Nahrung = Presse, d. Sezz.)