Ach Sommer! Ach Loch!

Das sogenannte Sommmerloch ist der beste Beweis für die Existenz einer kollektiven Konstruktion von Realität: Wir haben nun mal aus unserer Sommer-Perspektive des Planeten entschieden, dass derzeit nix Relevantes passiert. Unsere Medien bestärken uns in dieser kulutrell gewachsenen Illusion, schließlich will der Redaktör auch mal wie jeder andere Bürger zum Baggersee nach Hawai (Kann man später übrigens auch noch ganz klasse drüber schreiben, so nach dem Modell: „Ein perfektes Wochenende am Baggersee in Hawai“).

Ganz toll ist übrigens auch, dass man die Sommerloch-Philosophie medienmäßig ganz unabhängig von der Jahreszeit auf andere Zeiten und Themen übertragen kann. So ist Fukushima beispielsweise offenkundig in ein all-time-Sommerloch gefallen, und man muss selbst im Netz lange suchen, um Interessantes und Aktuelles zur desaströsen Lage zu finden. Als Beispiel: http://www.textinitiative-fukushima.de. Bei google endlos hinten, nach all den wenig aussagekräftigen Seiten von etablierten Medien…

Apropos google: Da sorgt sich doch die SZ darüber, dass google die Menschen so „profiled“, dass zwei unterschiedliche Exemplare der Gattung trotz gleichlautender Suchanfrage ein jeweils ganz anderes Angebot erhalten, was die Reihenfolge der vorgeschlagenen Sites betrifft. Glaub ich wohl, nur die fundamentale Selektion ist bei beiden (und allen) immer die gleiche: Zuerst kommen die Seiten derjenigen, die für google als Werbekunden und Zahler relevant sind und viel später alles andere. Mit anderen Worten: google „individualisiert“ mich im Hinblick auf meine Funktion als Konsument. Aus. Und das ist nicht nur legitim, sondern auch system-logisch: Warum glaubt irgend jemand, dass ein Profit-Unternehmen dazu da sein oder ein Interesse daran haben sollte, mich als Bürger, eigensinniges Individuum oder in sonst einer aus ökonomischer Sicht eher problematischen oder unattraktiven Rolle zu unterstützen? Sowas können doch eigentlich nur Leute glauben, die einen 70 Kilo schweren Berner Sennerhund halten und den vegan füttern! Oder Journalisten, die sich in Hawai am Baggersee gratis durchfressen, weil sie das Hotel hinterher in ihrem siebzehnten „Ein perfektes Wochenende in…“-Band erwähnen? Oder sind das eh immer die selben? Und gehen die dann eh bald alle mit der gläsernen Münchener Isar-Philharmonie unter, wenn, während der geklonte Karajan Beethovens fünfte (Schicksalssynphonie!) dirigiert, die Prater-Schleuse geöffnet wird und ein unglaubliches Sommergewitter die ganze Stadt reinigend flutet, mitsamt ihren Chardonnayflaschen und Schubecks-Gewürzmischungs-verseuchten Canapees und ersaufen? Und kann man dann die Liste der Abgänge am nächsten Tag gleich googeln oder muss man dann erst lang suchen, weil’s nix zoilt ham dafür?

Nachtkritik Scott & Willemijn.

Aus schierer Angst nach 4 Tagen vulkanischer Aktivität die Eruption gedämpft und ausgeschlafen – also falsch – zu beeurteilen, hier eine schnelle Nachtkritik ohne Anspruch auf Vollständigkeit und lediglich aus dem Blickwinkel des frisch aschebewolkten Beobachters.

Als edler Fuhrpark gestandenen Musikkunsthandwerkes im dezent-luxuriösen Ambiente der vorzüglich beschallten Hamburger Kammerspiele aufgefahren, war diese balladeske Soirée eine Klasse für sich und ein showcase dessen, was an gediegenem Sangestalent derzeit in Deutschland auf die Bühne zu bringen ist. In dieser Form unwiederbringlich zusammengestellt und mit schmelzenden Streichern und präzis-leise aufspielender Band adäquat in Szene gesetzt vor ebenso sachkundigem wie begeisterungsfähigem Publikum durch die unbeugsamen RE:PRESENTer.

Scott Alans Kompositionen jedoch tendieren bei aller eingängigen Virtuosität ins weinerliche und haben eine fatale Tendenz zur Selbstähnlichkeit, was auf Dauer und mit allzu wenigen „up-tempo“-Nummern ermüdend wirkt und auch durch seine kontrastierend fröhliche Showman-Attitüde kaum zu kompensieren ist. Ein sehr, sehr begabter Musiker, der seine durchaus vielschichtigen Kompositionen als Therapie und ewiges „coming out“ zelebriert. Grossartige Plattformen für herausragende Sänger sind seine introvertierten, dennoch expressiven Songs allemal – und damit Steilvorlagen für die versammelte Créme von „Orange Blue“, „Stanfour“ und „Hinterm Horizont“.

Willemijn „La Verkaik“ jedoch ist eine Klasse für sich und wird an diesem Abend – ganz Gastgeberin – ihre herausragende Stellung als Europas beste Musical-Interpretin gefestigt haben. Ihre „Range“ ist kaum zu glauben, ihre stimmliche Virtuosität differenziert – ebenso wie ihre maliziöse Fähigkeit, dem ewig gleichen immer neue Facetten abzugewinnen. Sie war und ist der Star des Abends. Gleich die erste Nummer stellt das klar, in der sie die drei geladenen männlichen special guests erfrischend selbstironisch und stimmlich donnernd von der Bühne fegt.

Diese machen gute Miene (und Stimme) zum bösen Spiel. Volkan Baydar, glühend und ganz bei sich als implodierendes Soul-Genie, Serkan Kaya als understated-witziger „Act“ der dieses Namens würdig ist und schliesslich Konstantin Rethwisch mit seiner poppigen Bühnenpräsenz als schnurrende Komfortlimousine.

So rollt der Abend auf gepflegter Fahrbahn dahin, die sanfte Hügellandschaft der seelischen Befindlichkeiten Scott Alans durchmessend, angenehm servo, zeitweilig aufregend aus der Tempo50-Zone in eine Kurve gleitend aber stets musikalisch TÜV-geprüft. Um Missverständnissen vorzubeugen: das war grosses Kino und breite Leinwand kammermusikalisch exquisit dargebracht, mit weiten Wegen, aber doch kein Road Movie, der die eigenen Verzweiflungen zum Vorschein bringt. Mittelbar eine Wohlfühl-Ausfahrt mit den besten Gefährten, die der Cabrio-Musikmarkt zu bieten hat.

Was allerdings das Geheimnis der Veranstalter bleiben wird, ist die Masssnahme, dass man nach ausdauernden Ausritten mit dem SL Flügeltürer samt seiner Hummer-Eskorte ohne Not und selbst in der Schlussnummer darauf verzichtet, die Garagentür zu den bereitstehenden Ferraris, Porsches und Bentleys für ein dieses Namens würdiges Finale zu öffnen, das lange Zeit Branchengespräch geblieben wäre.

Sarkozien-Strauss für Dominique. Kahn es sein oder Soficktell me more.

Stellt Euch einfach mal einen dieser finsteren 70er-Filme von Lumet, Costa-Gavras, Chabrol, Sautet oder Verneuil vor: Lino Ventura schleicht vor den offiziellen Ermittlern ins Hotelzimmer, findet Dominique sein Handy und lässt es lässig in seiner verbeulten Jacketttasche verschwinden. Alles in einem deprimierenden gelb-braun, das teils den Tapeten, teils der unheilvollen Stimmung geschuldet ist. Denn er weiß: der Kahn ist aus Panik vor der Falle, deren Ausmaß ihm schlagartig klar wurde, Hals über Kopf geflüchtet. Schliesslich hat er als Ermittler – nennen wir ihn Langlois – lange genug selbst für Sarko gearbeitet; hat den Liebhaber seiner Frau ausfindig gemacht und ihm persönlich berichtet. Da war er noch beim Verfassungsschutz. Das hier, das ist jetzt zu viel für ihn. Das wird er nicht zulassen. Weder die Häme seines früheren „Patron“, noch die Attacken von France Soir und schon gar nicht die glitschigen Aufrufe zur Mäßigung aus dem Elysée, von Hollande und der bedauernswerten Aubry. Von der dummen Pute LePen ganz zu schweigen. Aber die bringt sich ja sowieso mit jeder ihrer verfrühten Triumphe in Schwierigkeiten. Keinen Instinkt. Ganz anders Sarko. Den kennt er, und dem wird er es nicht gönnen. Der gönnt ja auch keinem was. Aber dass sie es ausgerechnet in NYC und noch dazu an diesem Tag wagen würden hatte er nicht vorausgesehen. Schlechter Film, schwerer Fehler. Hätte er doch kommen sehen müssen. Erst die guten Umfragewerte in Frankreich als aussichtsreicher Kandidat der Salon-Sozialisten (mithin des französischen Ideals eines Staatschefs), dann die Ankündigung, sich einen Vertreter der Schwellenländer als Nachfolger zu wünschen, dann am nächsten Tag die EU-Sitzung über die griechischen Schulden, von denen er ein Drittel selbst, fast schon persönlich trägt. So wie das Erbe von Wolfowitz als Weltbank-Chef und Irakkriegstreiber, den er entmachtet und damit die USA düpiert hat. Und nicht zuletzt die Air France-Maschine, die zwar die in ihr geborene zu Franzosen macht, aber eben erst, wenn sie in der Luft ist. Dass alle untersuchenden Beamten vermutlich Frauen sein werden, ebenso die Richterin, ist da nur eine Unwägbarkeit am Rande.
Also lässt er das Telefon in seine Tasche gleiten und geht den heranstürmenden FBI-Schergen mit strengem Gesicht entgegen, nickt ihnen kurz und schlecht gelaunt zu und wir sind alle erleichtert.
So wars aber nicht.
Es war ganz anders.
Und jetzt sind nur noch zwei im Rennen.
Die werden sie auch noch kriegen.
Dann sind wir am Ende.
Und jetzt kommst Du.
R.

PS: Services secrets francais:

Pauli Lions 2.0

… and now to something completely different (So. 20:15 auf Arte!).
Die Mannen von St. Pauli haben heute den statistisch schwer zu konkretisierenden Beweiß dafür geliefert, dass man untergehen kann dadurch, dass man oft gegen Mannschaften verliert, die keinen Deut besser sind, als man selbst. Womit die 5 (!) Löwen auch nur „pretenders“ wären, die nach Kräften über ihre Verhältnisse leben. Denn Katastrophentouristen gibt es zuhauf und Royalisten sind auf dem Vormarsch. Der Trost bleibt, dass die Königlichen ohne Sinn, Verstand und Perspektive sind (ausser sich selbst zu inszenieren) und es der Liga eben so geht. Wer keine Deutungshoheit hat, geht unter. Sind ja Vereine nach Deutschem Recht. Ergo einerseits millionenschwere „Player“ mit ebensolchen Schulden, andererseits Fanale eines Geistes, der Niederlagen zugesteht und Nachwuchs fördert, gierig guckt und Dilletanten gewähren lässt.
Die vier Löwen sind auch deshalb komisch weil sie (wie Pauli) im hilflosen Versuch ihr Heil suchen. Nur das wir uns in der Zweiten wohlfühlen und die selbst in der Vierten nicht.

Four Lions! More Lions!!!

Was auch immer der Grund dafür sein mag, dass der britische Humor so einzigartig ist; er benötigt jedenfalls für seine anarchisch-brachiale Art, Aufklärung zu betreiben, als Gegenüber und Treibstoff  möglichst verfestigte, verknorzte Strukturen des Denkens und Verhaltens – und findet daher eben auf der Insel sein ideales Biotop.

Bei uns würde der britische Humor sich aus den genannten Gründen wahrscheinlich am ehesten tief in Bayern niederlassen. Womit wir auch schon bei der CSU wären und ihrem MdB Stephan Mayer, der im Vorfeld (bei welcher Gelegenheit hat der eigentlich, wenn überhaut, Ewigkeiten vor der Deutschlandpremiere den Film gesehen?) sich bei SPIEGEL-TV zu „Four Lions“ derart geäußert hat, dass man bedenken müsse, ob der Film nicht „Öl ins Feuer gieße“, was dann so interpretiert wurde, als wolle er den Fim verbieten lassen, faktisch aber als Werbeaktion wirkte (danke!) und man kann sich selbstredend fagen: Wer steht hier eigentlich auf wessen Payroll? Davon abgesehen wäre es natürlich interessant zu erfahren, was inhaltlich eigentlich gemeint war: WESSEN Öl in WELCHES Feuer?

Denn, um mal eines der Prinzipien von Jean Brasse zu verraten: Es kann manchmal ungeheuer produktiv sein, von der Annahme auszugehen, dass Leute, die was gesagt haben (wie in diesem Falle der MdB Mayer von der CSU), nicht 100% so doof sind, wie man geneigt ist, unmittelbar nach der Rezeption ihrer Äußerungen anzunehmen. In diesem Falle könnte das etwa zu der Schlussfolgerung führen, dass der Abgeordnete Mayer „intuitiv“ erfasst hat, dass der – um es frank und fei zu sagen– geniale Film „Four Lions“ nicht nur einfach „Muslime“, „Islamisten“ oder wie immer man die entsprechende Klasse von menschlichen Individuen sprachlich klassifizieren mag, der Lächerlichkeit und dem entsetzten Erkennen ihrer Monströsität preisgibt, sondern anhand des Modells „(Möchtegern-)Islamisten“ beispielhaft vorführt, dass „Gläubige“ jeglicher Provenienz unter hochfrequentigem Hirnversagen leiden und buchstäblich und mit der absurdesten Konsequenz fähig sind, Unheil über sich und andere zu bringen. Und jetzt könnte es ja sein, dass nach Rezeption des Films jemand mit dieser Erkenntnis ausgestattet nach Bayern oder überhaupt in die Welt hineinblickt – und wer weiß, was das wieder für Folgen hat.

Die unabweisbare Wahrheit, dass „Glauben“ und „Vertrauen in eine höhere Instanz“ Folgen zeitigen, die für die unschuldig Betroffenen absolut tödlich sind, wird ja im Film wiederholt auch anhand des Verhaltens der Polizei vorgeführt. Das fantastische Drehbuch hätte, und darüber kann man beim Anschauen des Films eigentlich zu keinem Zeitpunt zweifeln, genauso auch mit fundamentalistisch-republikanischen Abtreibungsgegnern in den U.S.A. oder jedem anderen Deppenverein all around the globe funktioniert.

Das eigentliche Wunder an diesem Film ist allerdings – bei allen schreiend komischen Gags – die Feinheit der Abstufungen, die er sich leistet, wenn es darum geht vorzuführen, wie viele unterschiedliche Varianten zum Thema „Glauben“, „Überzeugungen“, „Autoritäten“ einerseits und Handeln sowie Emotionen andereseits es gibt. Geradezu von shakespearschem Rang ist die Szene, in der Omar, im doppelten Sinne „Kopf“ der Attentäter, letztlich erfolgreich versucht, seinen debilen Genossen durch die Umkehrung der Metaphorik von „Herz“ und „Verstand“ ins (Selbstmord)Attentat zu treiben. Was am Ende bleibt, ist ein Wahnsinn, der eben nicht, wie in den unseligen Hollywood-Serienmörder-Filmen, ein beruhigender, weil exzeptionell-pathologischer, abwehrbar fremder Wahsinn ist, sondern die Gleichsetzung vom Menschlichkeit und Wahnsinn. Fantastisch hierzu die Rolle von Omars Frau, als selbstbewusste, „emanzipierte“ Muslimin, die gleichwohl ihren Mann als „Helden“ (also: tot) verehren möchte. Auf derartige Feinheiten einzugehen, würde Seiten füllen.

Fazit: Dem Film geht jegliches Phänomen, das nur im entferntesten als Denkverbot fungieren könnte, am Arsch vorbei – was naturgemäß dazu führt, dass man von denen, denen die Denkverbote ein Anliegen sind, nicht gerade Freundschaftsangebote erhält – und Chris Morris als Brite zieht das eben in einer Konsequenz und Gelassenheit durch, wie weiland wohl nur noch General Schwarzkopf seine Schuhverkäufe an die eigene Armee. Genau deshalb kann er, Morris, islamistische Attentäter als zutieftst menschlich darstellen und das heißt, als Wesen, die schon zerrissen sind, bevor die Sprengladung an ihrem Körper explodiert. Menschliche Wesen sind eben zu allem fähig– im Guten wie im Bösen. Menschen sind zu jedem Opfer (im doppelten Sinne des Wortes) bereit, wenn sie nur was glauben – und weiß Gott: Offenbar will der Mensch glauben (und sei es auch nur, dass er glauben will, er wisse, was im Kopf eines Islamisten vorgeht). Und da sie alle irgendwas glauben, die Menschen, sind sie extrem gefährlich – und extrem lachhaft.

Viele Kinogänger werden bei „Four Lions“ einfach nur ihren Spaß haben, manche werden noch viel mehr davon haben. Für mich jetzt schon Rubrik „Kult“.

Wir trinken soviel wir können…

Werbung kann manchmal doch noch Spaß machen: Beispielsweise der Spot des Familienministeriums (?), der mit dem kleinen Darth Vader für’s Kinderkriegen wirbt, wo man immer denkt: Ach, Kinder sind doch vielleicht auch außerhalb der Weihnachtsfeiertage was Schönes, in ihrer Fähigkeit, sich sogar ohne Alkohol in der wahren Realität einzurichten, und man würde womöglich erwägen, einen beschissenen Mittelklassewagen anzuschaffen, wenn man ihnen damit eine Freude machen kann.

Leider sind die großen, landes-, kontinent und weltweit verbreiteten Kampagnen selten so gut, während die Juwelen in den Provinzen von den lokalen Agenturen in aller Begrenztheit verbreitet werden und dem Gros des Publikums vorenthalten werden. So wirbt etwa derzeit die Regensburger Brauerei Bischofshof – Claim: „Das Bier, das uns zu Freunden macht“, was angesichts der Mentalität der Oberpfälzer schon die Frage aufwirft, ob in dem Bier wirklich nur legale Substanzen sind  – mit der Kampagne „Wir sind Bischofshof!“; und bringt authentische Typen aus der eigenen Brauerei und dem Gaststättengewerbe, wo man jetzt einmal sieht, dass eine Brauerei quasi einfach jeden Assoziierten für ein Werbeplakat ablichten kann, und man fasst gleich Vertrauen, während beispielsweise die Banken unter Zigtausenden von Mitarbeitern immer lange suchen müssen, bis sie einen finden, bei dessen Anblick man nicht gleich wohinfasst, um sicherzustellen, ob die Brieftasche noch da ist. So unterschiedlich sind die Gewerbe eben.

Das Lieblingsmotiv von Bischofshof sind Gaby (original mit „y“; re.) und Petra (li.), die auf dem Plakat an so einer brauereiinternen Schank stehen, mit einer Reihe von Flaschen vor sich und vor allem mit fünf frisch eingeschänkten Weißbieren („Weizen“, wie der Oberpfälzer sagt, weil: „Weißbier“ klingt oberbayerisch, also latent münchnerisch, und da hat der Oberpfälzer einen berechtigten, leitkulturell bedingten idiosynkratischen Impuls), mit fünf frisch eingeschänkten Weizen also, von denen die Gaby (re.) schon eins in der Hand hält. Und die Gaby (original mit „y“), schaut halt auch schon a bisserl so, dass man glaubt, was das Plakat dem Konsumenten da versichert, nämlich: „Beste Biere durch Verkostung und Kontrolle“ und der Petra glaubt man es eh, weil die ist auf dem Plakat im Hintergrund und etwas unterbelichtet, sodass man denkt, dass das auch seinen guten Grund hat. Jetzt ist das natürlich, wenn man sich mal in die Hirnwindungen zum Beispiel von einem Menschenfreund oder auch nur einem Gewerkschaftsmenschen hineinversetzt, ein bisserl eine merkwürdige Reihenfolge: Erst „Verkostung“, dann „Kontrolle“!-?-! Da könnte man schon kurz ins Grübeln hinüberdriften, mit Assoziationen an rotäugige Kaninchen und Mäuse, wo doch die Gaby und die Petra auch so weiß sind in ihren Kitteln. Aber nix da, die beiden Damen sind offenkundig durchaus fidel (die Gaby mit dem Weizen allerdings deutlich munterer als die Petra) und bei genauerer Betrachtung des Bildes sieht man ja jetzt auch, dass die Reihenfolge total der Bildkomposition entspricht: Vorne (re.) steht die Gaby mit ihrem „y“ und ihrem wirklich sehr leckerfrisch eingeschänkten Weizen und die Petra steht im Hintergrund (daher die Unterbelichtung) und hat, ja schau hin, ein Mikroskop vor sich. Und da sieht man natürlich sofort, wenn man Augen hat zu sehen, dass bei der Brauerei Bischofshof a) managementmäßig genauso wie belegschaftsmäßig einfach ein Grundvertrauen herrscht in die Qualität der eigenen Produkte, weil: sonst würde ja die Gaby nicht den ganzen Tag ein Weizen nach dem anderen zischen, ohne dass es die Petra vorher kontrolliert hat auf Bakterien, die man mit einem so kleinen Mikroskop auch gleich erkennt und b) erschließt sich natürlich auch sofort, dass man bei Bischofhof die wechselseitige Bedingtheit von Effizienz und Vertrauen klar erkannt hat, denn wenn man seinen Produkten und der Expertise der erfahrenen Trinkerin Gaby vertraut, muss man die Petra ja wirklich nur dann einschreiten lassen, wenn der Gaby mal ein Hautgout unterkommen sollte (und eine zweite Fachkraft vom Schlage Petras spart man sich da locker und zu Recht ein).

Jetzt ist es natürlich so, dass sich einem da schon nach kurzem Nachdenken die Frage der Gerechtigkeit aufdrängt. Weil: Aus Sicht des Bierfreundes hat die Gaby naturgemäß um mehr als Leberlänge den besseren Job! Und das hat der Fotograf der Werbeagentur jetzt auch garnicht weganimieren oder -retuschieren können: Die Gaby schaut einfach total entspannt, lebensbejahender und deutlich frischer aus dem Bild als die Petra in ihrer (fototechnisch begründeten) Unterbelichtetheit. Was selbtredend auch daran liegen kann, dass der Fotograf der Werbeagentur so ein typischer oberpfälzer Subversiver war, der zwar nie was sagt, aber ständig, während er scheinbar zur Zufriedenheit aller funktioniert, so zersetzende Gedanken in die Welt setzt, wo du nicht weißt, ob er’s auch wirklich so gemeint hat, weil: Gesagt hat er ja nix. (Sodass man nie weiß: Sind die intelligent oder ist es ihnen einfach nur passiert?)

Wie dem auch sei: Die Brauerei „Bischofshof“ hat da ein wirklich erfreuliches, weil hoch komplexes Stück Werbung in die (regionale) Welt gesetzt, da könnten die „Großen“ was von lernen (Lernfähigkeit vorausgesetzt). Und man könnte fast vermuten, dass die Macher den wunderschönen Slogan von Rainer Baginski (liebe Grüße nach Oben: Du warst ein selten intelligenter und bemerkenswert angenehmer Zeitgenosse) „Wir trinken soviel wir können, den Rest verkaufen wir!“ irgendwo im Hinterstübchen hatten und in dieser gloablisierten Kloake auf eigenwillige, lokale, oberpfälzerische Art zu interpretieren versucht haben. (Mon Dieu! Was sind wir doch für unverbesserliche Menschenfreunde…)

 

Dynamit in Kinderhand!

Als erste Reaktion auf den Architekten-Lokations-Beitrag gab es einen nächtlichen Anruf einer aufmerksamen Leserin, die folgende, wunderbare Geschichte zum Thema beisteuerte, die hier sogleich wiedergegeben werden muss:

Münchener Straßenbahn. Im Doppelsitz gegenüber eine flotte Oma, neben ihr am Fenster ein hübscher, etwa siebenjähriger Junge, der hoch konzentriert aus dem Fenster schaut und mit ausgetrecktem Zeigenfinger im Vorbeifahren fiebrig auf jedes der vorbeifliegenden Gebäude tippt. Bei ungefähr jedem vierten Gebäude in der Münchener Innenstadt macht er ein aufsehenerregendes Geräusch, so nach dem Modell „Bchrrrrrrrr!“ und „Bfrrrfff!!!“.

Was er denn da mache, fragt die Erählerin die attraktive Oma. Nun ja, sagt die Dame, sie sei mit dem Enkel ein wenig durch die Fußgängerzone spaziert, er habe nach den Gebäuden gefragt, nach ihrer Geschichte, sie hätten sich über die Unterschiede unterhalten und die Anmutung, sie habe ihm ein wenig erzählt von der Zerstörung, vom Wiederaufbau, von dem was sie für gelungen halte und was nicht. Er habe ihr erzählt, was ihm gefalle und was nicht. Wie das halt so geht. (Oder leider viel zu selten geht: Angehörige unterschiedlicher Generationen tauschen sich ernsthaft und interessiert über fundamentale ästhetische Fragen aus!) Irgendwann, gesteht die Dame, habe sie sich wohl zu einer Bemerkung derart hinreißen lassen, sie finde, das gerade besprochene Gebäude gehöre gesprengt und anders, besser, wieder aufgebaut.

Der Junge hatte nun, offenkundig begeistert von dieser Idee, auf der Trambahnfahrt durch das so vielgerühmte München, ein Spiel daraus gemacht, das er mit großem Ernst und kindlicher Würde betrieb. Er betrachte im Vorbeifahren die Stadt mit der Brille des neu erworbenen ästhetischen Modells, identifizierte und eliminierte alles, was aus dieser, seiner neuen Sicht da nicht hingehörte.

Die Erzählerin berichtet, dass sie sich daraufhin insgeheim, ohne die Konzentration des Kleinen zu stören, an dem Spiel beteiligte. Und fand sich überrascht über die ausnahmslose Übereinstimmung. „Du glaubst es nicht: Diese Kind… Jeder Schuss ein Treffer!“

Also: Noch mehr Dynamit!!!

Dem Kommentar von R. entnehme ich die Tendenz, die Idee des Verantwortlich-Machens (oder neudeutsch: des Motivierens zur Wahrnehmung von Verantwortung) durch dauerhafte Lokation im Verantwortungsbereich, im Sinne eines Gedankenspiels auf alle möglichen Bereiche zu übertragen. Was die dort vorgebrachten Beispiele zu Bibliothekaren, Germanisten und Apothekerinnen anbelangt, so erhellen sie sich mir noch nicht ganz und ich warte gespannt auf weitere Ausführungen.

Ein Beispiel, was sich mir schon seit langem aufdrängt, sind die Architekten. Ich halte die Auswirkungen ihres Tuns durchaus vergleichbar mit denen der Aktivitäten von Kernkraftwerksbetreibern und -erbauern, wenn auch die Wirkung ihrer Fehlschläge sich in der Regel der unmittelbaren und medial verwertbaren Beobachtung entziehen, also scheinbar „subtiler“ sind. (Das Sich-Berufen auf die „Subtilität eines Phänomens ist ja in den meisten Fällen nichts anderes als das Eingeständnis vorausgehenden, fundamentalen Mangels an Beobachtungsvermögen und analytischem Verstand – hättst hoit higschaut und a weng denkt, hättstes glei kapiert, Depp!).  Der zuweilen hinreißend kluge H.M. Enzensberger hat bereits vor ewigen Zeiten die Architektur als eine „terroristische Kunst“ identifiziert und Zille hatte mit seinem berühmten Zitat sicher auch nicht nur die Vermieter im Visier. Und wenn wir schon bei den Danksagungen sind, soll auch der jüngste Roman von Houllebecq mit seinen wunderbaren Invektiven gegen den Fundamentalisten Le Corbusier, diese Neutronenbombe in Architektengestalt, nicht ungelobt bleiben. (Also wenn man mal die Selbstmorde zusammenzählt, die auf’s Konto dieser steinmetzgernden Menschheitsbeglückungs-Apostel gehen, da muss sich ein Bin Laden noch ganz schön ranhalten, bis er mit den Jungs in der Hölle ein Zimmer teilen darf.) Et voilà: AKW – Architekt – Neutronenbombe: Wenn das keinen schön geschwungenen Grundriss für einen JeanBrasse-Artikel abgibt?

Also, um auf den Vorschlag von R. ernsthaft einzugehen: Architekten, welche größere Konglomerate verantworten, müssen mindestens 5 Jahre dortselbst mit ihren (etwaig vorhandenen) Familien wohnen: Die entsprechende Parzelle wird ihnen zugelost! Selbstredend drakonische Strafen bei Verstoß gegen die Residenzpflicht (Hier kann jeder seiner Fantasie freien Lauf lassen!). Bei Strukturen wie Schulen, Krankenhäuser etc. ist Analoges zu finden. Etwa: Schulgebäude werden nur an Architekten ausgeschrieben, die selbst schulpflichtige Kinder haben, und logischerweise müssen die Sprösslinge dann ebendort zur Schule gehen. Sollten die Architekten, was naturgemäß nicht auszuschließen ist, ihren eigenen Nachwuchs hassen, ist das Risiko einschätzbar: Schlimmer als die aktuellen Baulichkeiten sind, kann’s auch nicht mehr werden. Für Gefängnisse oder Krankenhäuser gilt: Kleinste Delikte respektive Blessuren führen zur Zwangseinweisung in eines der aus der eigenen Feder stammenden Gebäude. Fußballstadion – Dauerkarte usf.

Einzige Ausnahme: Gebäude des Politikbetriebs. Das Bundeskanzleramt in Bonn soll genau so sein, wie weiland Helmut der Kohl es sich wünschte. Und wenn sich Angie jemals unwohl fühlen sollte, sollte sie bitte bitte nicht den Architekten dafür verantwortlich machen können.

Inside out 1.

Das Krankenhaus aus dem ich komme gibt es seit 1190, also schon 820 Jahre.
Wenn es seitdem nur einen Patienten pro Tag gehabt hätte, wäre ich der 299.300ste Gast gewesen. Da ein Krankenhaus inzwischen formaltechnisch ein schlechtes Hotel mit überdurchschnittlicher medizinischer Betreuung zu sein scheint, kann man dem Hamburgischen Aeskulpap-Konsortium nur gratulieren. Und zwar dazu, als monströse Aggregation von planerischem Wahnsinn und geballter Menschenkompetenz als Gebilde so groß zu sein, dass einzelne, persönliche und zielführende Einschätzungen und Aktionen – mittelbar „Guerilla Medizin“ – gegen das System kämpfend bis zum Patienten durchdringen. Nie habe ich bösen Willen oder bewussten Widerstand erfahren. Ich war privilegiert und wurde gut behandelt und bin mir dennoch sicher, dass die meisten mich umgebenden (handelnden) Personen zwischen dem Wunsch, etwas Gutes zu tun und einer grenzwertigen persönlichen Situation pendelten. Das kann nur den Grund haben, dass sie völlig unter ihren Möglichkeiten arbeiten, zu miserablen konditionen und unter Umständen, die sie immer wieder frustrieren.

Nun erkläre mal einem Laotischen Schamanen, dass Du Dir als Heiler jemanden rausgesucht hast, der in einem riesigen Betrieb unter ungeheuerem Druck sehr viel sehr genau machen muss, damit die Krankenkasse es zahlt. Umgeben von frustrierten MitarbeiterInnen, die nichts von dem abrufen, was sie wirklich können. Ja Merci Cowboy.

Persönliche Begegnungen, Fragen, Erörterungen und Empfehlungen sind es also, die sowohl vorher und ausserhalb, als auch drinnen und vor Ort den Ausschlag gegeben haben. Dafür, dass ich schnell gesunde und wusste, was ich tat. Euch allen bin ich dankbar. Und dem Mann, der es gewagt hat, mich aufzuschneiden.

Der Fraß ist für Schweine nicht gut genug und Anekdoten folgen.

R.

Mehr Dynamit!!!

Im 19. Jahrhundert war die Firma Dupont einer DER Produzenten von Dynamit. Dynamit geht im Laufe des Produktionsprozesses gern mal hoch. (Ältere Semester wissen etwas mit der Assoziationskette Nitroclycerin – Yves Montand – Ölquelle anzufangen und brauchen nicht weiter instruiert zu werden, jüngere Semester sind… na eben jung). Für die Firma Dupont wuchs sich das Ende des 19. Jahrhunderts zum echten Problem aus: Es gab immer wieder fürchterliche Explosionen in den Werken, mit immensen ökonomischen Schäden und Verlusten an Menschen (in Kommuniquées formuliert man es immer andersherum, ich weiß). Die Unternehmensleitung kam aufgrund der Untersuchungsergebnisse der Unfälle zu der Erkenntnis, dass all diese Katastrophen durch Missachtungen der Sicherheitsvorschriften, also durch Schlamperei, verursacht worden waren. Und sie zog den bemerkenswerten Schluss, dass letztlich für diese Schlampereien und ihre üblen Folgen die Verantwortlichen verantwortlich waren – also die Leiter und Direktoren der Dynamitwerke. Und da die Sicherheitsvorschriften an und für sich äußerst präzise und umfassend waren, kam man zu dem (schlicht intelligenten) Schluss, dass man an einer ganz anderen Front eine elementare Randbedingung verändern müsse: Man zwang die Direktoren, sofern sie ihren Job behalten wollten, mitsamt ihren Familien auf den Werksgeländen wohnen zu müssen; also in unmittelbarer Nähe der potenziellen Gefahrenquelle.  Der Effekt ist in den Chroniken der Firma belegt: Seit Einführung dieser Maßnahme hat es keinen nennenswerten Unfall in den Dynamitwerken mehr gegeben.

Die Anwendungsmöglichkeiten dieses Prinzips heutzutage sind nahezu unbegrenzt. Man denke nur an Fukushima und all die Schlampereien im Vorfeld… Wie würden wohl unsere Energie-, Chemie- etc. -Manager + verantwortliche Politker auf dieses Prinzip reagieren? Was könnte man aus ihrem Verhalten für Folgerungen ziehen?