Reisen.

Moin.
So, jetzt aber mal genug mit dieser Trübsalblaserei.
Traut sich ja keiner mehr, draufzuschreiben, auf diesen Haufen Desillusion.
Habe beschlossen, dass mir die blöden Bayern wurscht sind und das ich dort rauchen werde, bis ich festgenommen bin.
Aber die Aktualität ist ja zugegebenermaßen eher morose.

Wäret ihr hingegangen.
Wäret ihr nicht hingegangen.
Waeret ihr gefangen.
Haettet ihr gehangen.
Also wohin?

Nun, wir werden nach Laos fliegen. Ja fliegen, und unsere bisher vorbildliche Ökobilanz schwer schädigen. Aber ich habe heute in einer kleinen Sackgasse ohne Grundstückszugang das große, teure, einbetonierte, witterungsbeständige Stahl-Schild „Kein Winterdienst!“ gesehen. Insofern mach ich mich locker.

Mein Bruder will seinen Kindern Afrika nahebringen, bzw. das Fremde an sich, nehme ich an. Als typischer Südafrika-Einsteiger mit höchst komfortablen Erinnerungen an 0 Zeitverschiebung, geleckte Straßen, vom Ufer sichtbare Wale, gutes Essen und bestens organisierte Bed&Breakfasts mit Mobiltelefonanschluss und Internet-Site, empfahl ich zunächst ebendies. Das war ihm zu recht zu einfach. Also kamen Sambia (?), Tansania, Mozambique, Madagaskar und Sansibar ins Spiel. Damit hat er impulsartig den Abenteuerer in mir geweckt. Seitdem vertiefe ich mich in die Aufteilung und Topographie der Ostküste Afrikas. Da überkommen einen Wallungen von Peinlichkeit, weil man ja keine Ahnung hatte; Beschämung ob der Unkenntnis über Lage, Kultur, Situation und Zustand, Staunen über die Dimensionen, die unerschlossenen Gebiete und dazu völlige Analphabetie in Bezug auf die lokalen Sprachen. Wow. Ziemlich schwach.

Worum es mir beim Reisen wohl immer wieder geht, ist, die Fremde dahingehend auszuloten, dass man selbst etwas mitnimmt außer Erinnerungen. Etwas, was Farben verändert, Perspektiven verschiebt und die Wahrnehmung auf Jahre hinaus infiltriert. Wenn wir also nach Laos fliegen, über Bangkok nach Vientiane, Vang Vieng, Luang Prabang, Muang Ngoi Neua, Pakse, Champasak (What Phou) und Si Phan Don (soll Euch neugierig machen), dann wünschen wir uns nicht nur Veränderung im Äußeren.

Falls irgend möglich werden wir mit dem Bus reisen und – ausser den Flußpassagen – das Moped wählen und zu Fuß gehen. Viel und lange. Wo und wie hängt dort von der Witterung und der Marktlage ab. Und wenn da grade keiner Bock hat, dann geht da nix. Insofern soll die „Planung“ nur ein Minimum an Kontrolle simulieren, die abgesehen von Vorbereitungen zur Kultur, grundlegend sinnlos ist.

Endlich wieder ein Abenteuer. Nicht wissen, was einen erwartet. Sich hintrauen, 10 Jahre vor den Anderen. Wie in Vietnam und Cambodscha geschehen („Duch“ endlich hinter Gittern. Wir haben ihn sozusagen noch in Freiheit erlebt und sein Foltercamp besucht). Unlöschliche, nicht reproduzierbare Eindrücke aus der Zeit, bevor die Globalisierung zuschlägt. Bevor die Faust des aufkommenden Wohlstands trifft. Mitten in die Leber der Aufstrebenden. Wovon sie sich, aber nicht die Gesellschafter, ergo das Volk, erholen.

Wir freuen uns schon so auf die Erkundung eines Landes, dass keine Küste besitzt aber den größten, besten Teil des Mekong; das mit Vientiane die wahrscheinlich beste und günstigste Feinschmeckerdestination abseits ausgetrampelter Pfade bietet, das Flächenbombardements der allerhöchsten Militärordnung (also jenseits der Genfer Convention) über sich ergehen lassen musste (mehr als der zweite Weltkrieg) und deshalb dünn besiedelt und von der globalisierten Welt noch abgeschnitten ist, aber die Größte Dichte an Naturreservaten und -Wundern in ganz Südostasien hat. Und die friedlichste Gesellschaft überhaupt.

Vielleicht verhält es sich da so ähnlich wie mit der Mauer. Wo der Mensch kaum mehr Einfluss genommen hat, entwickeln sich ganz eigene, lebensfähige Ökosysteme. Was mal wieder beweisen würde, dass Homo Sapiens wirklich so etwas ist, wie eine Krankheit. Die sich nach unserem bisherigen Wissen allerdings bisher nur ein Planet eingefangen hat.

Sabaidee!
R.

http://www.iexplore.co.uk/city_guides/Laos/Vientiane/Food

Paternalistische Bevormundung: Vorspiel

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 2 Abs. 1

Nach dem bayerischen Anti-Raucher-Volksentscheid erhebt sich nun das Gejammere der Passiv-Raucher, die meinten, von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen zu müssen. Dabei hätte ihnen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Gesetzesanträgen der Tabak-Taliban aus dem Jahre 2008 zu denken geben können.

Und für eine wirklich gute, demokratische und verfassungskonforme Argumentation im Umfeld der Abstimmung hätten ihnen (und allen freiheitlich und kultiviert denkenenden Nichtrauchern) die Worte des Prof. Dr. Johannes Masing dienen können. Dieser Bundesverfassungsrichter begründete seine abweichende Meinung zum Senatsbeschluss des BVG vom 30. Juli 2008 zum Rauchverbot u.a. wie folgt:
Ein ausnahmsloses Rauchverbot in allen Gaststätten wäre meines Erachtens auch in der Sache verfassungswidrig. Es handelte sich hierbei um einen Eingriff … in die Freiheit der Raucher nach Art. 2 Abs. 1 GG, der mit dem Verhältnismäßigkeits- grundsatz nicht vereinbar wäre.

Ein ausnahmsloses Rauchverbot ist zum Schutz der Nichtraucher nicht erforderlich und als Maßnahme der Suchtprävention zum Schutz der Bürger vor sich selbst unverhältnismäßig. Es wäre ein Schritt in Richtung einer staatlichen Inpflichtnahme zu einem „guten Leben“, die mit der Freiheitsordnung des Grundgesetzes nicht vereinbar ist.

Mit einem absoluten gaststättenrechtlichen Rauchverbot wird das gesellige Beisammensein und Feiern bei Tabak, Speise und Trank völlig aus dem öffentlichen Raum und dem gewerblichen Angebot verbannt…Der Genuss von Tabak bei Speise und Trank wäre danach im Wesentlichen nur noch innerhalb der privaten vier Wände möglich. Dieses aber ist angesichts einer Tradition, in der diese Verbindung seit Jahrhunderten von vielen als Teil von Lebensfreude empfunden und gepflegt wird, und angesichts eines Raucheranteils von mehr als 30 % der erwachsenen Bevölkerung unverhältnismäßig…Das gaststättenrechtliche Rauchverbot ist insoweit auch mehr als die Bagatellbelastung, zur Befriedigung einer Sucht vor die Tür treten zu müssen. Es unterbindet vielmehr eine tradierte Form des kommunikativen Miteinanders in als persönlich wichtig angesehenen Situationen, für die der – zu Recht oder zu Unrecht als subjektiv frei empfundene – Rückgriff auf den gesundheitsschädigenden Tabak als wesentlich erlebt wird. In Blick auf damit verbundene Gefahren kann der Gesetzgeber … nicht auf dem Verbotswege die Verbindung von Tabak, Speise und Trank völlig dem gewerblichen Angebot in der Öffentlichkeit entziehen.

Die Freiheitsrechte des Grundgesetzes verpflichten den Gesetzgeber auf Regelungen, die der schwierigen Spannung von Schutz und Freiheit ausgleichend Rechnung tragen. Damit verträgt sich die Radikallösung eines absoluten gaststättenrechtlichen Rauchverbots nicht. Mit ihr wird vielmehr ein Weg edukatorischer Bevormundung vorgezeichnet, der sich auf weitere Bereiche ausdehnen könnte und dann erstickend wirkt.

Dieser „Weg der edukatorischen Bevormundung“ ist nun beschritten; ein Präzedenzfall geschaffen. Im Lichte der Analyse von Prof. Masing betrifft dies mitnichten „nur“ die Raucher. Es betrifft vielmehr potenziell jede Lebens-Art, jede Kommunikationsform und jede Praxis kulturellen Miteinanders, die in das Blickfeld der „Kultur der Gestörten“ geraten und deren Impuls, was „stört“ unsichtbar zu machen, auslösen könnte. Argumentationen, die auf „Gesundheit“ und „Verantwortung“ abheben, haben sich dabei als gefährliche Waffe erwiesen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass der Diskurs um Qualität, Schönheit und alles, was ein gutes Leben ausmachen kann, von höchster Relevanz (und politischer Brisanz) ist, dann liegt er spätestens nach diesem bayerischen 4. Juli vor.

Flugwahn.

Die hauen hier die Ferien-Flieger im 1 1/2-Minuten-Rythmus raus.
Und das im kleinen Hamburg.
Als gäb’s kein morgen.
Sagt ein Planet zum anderen: „Du siehst aber Scheisse aus“
„Ja, ich hab‘ Homo Sapiens“
„Macht nix, geht vorbei.“

Huevos.

Bin ja mal gespannt, ob wir morgen den Ball flachhalten. Und wieviele Eier wir haben. In der Hose meine ich.

Und ob Paul einer sinvollen Verwendung zugeführt werden kann:

Pulpo scharf

Zutaten:

1 Pulpo
3 Knoblauchzehen gepresst oder gehackt
1 Zwiebel gehackt
1-2 Lorbeerblätter
Olivenöl
Oregano
Petersilie
Paprikapulver (Rosen und scharf)
Chilischoten getrocknet

Zubereitung:

Krake 30 – 45 Minuten in Salzwasser gar kochen, abgießen (von dem Wasser eine Tasse aufheben) und in mundgerechte Stücke zerteilen.
In einem großen Topf in ordentlich Öl den zerkleinerten Knoblauch und die gehackten Zwiebeln leicht anbraten. 1 – 2 zerkleinerte Lorbeerblätter dazu geben. Die gekochte Krake hinzufügen und mit Oregano und Petersilie würzen.
Ca. 1/2 Tasse vom Kochwasser der Krake hinzufügen, mit reichlich Paprika würzen und die gehackten Chilischoten dazugeben. Kurz einkochen lassen und eventuell mit etwas Mehl (oder Maisstärke) abbinden. Wer es nicht so scharf mag läst einfach die Chilischoten weg.
Kann entweder als Hauptgericht oder auch als Tapas gereicht werden.
Ich danke: Carola Dieguez Mena

Klammheimlich.

Taktisch klug kann zweierlei sein. Plan und Methode verbinden, auf die vorhandenen Ressourcen zurückgreifen und sie entsprechend effizient nutzen wäre eine Definition. Man kann aber auch mit niedersten Instinkten spinning betreiben, Niederlagen vergessen machen, Leute irreführen (das Volk z.B.) und sich dabei gleichzeitig aus dem Staub machen und omnipräsent sein. Am besten in einem gedämpft Himbeerroten Jakett. Der letzte Respekt, den ich für die Angie hatte ist nunmehr verpufft. Sie ist wirklich „sein Mädchen“. Machtorientiert statt der Sache zugewandt, taktisch statt strategisch, berechnend statt rechnend. Und insofern eben nicht verwandt mit der Mannschaft, die uns soviel Freude bereitet aber in deren Sonne sie sich, äh, sonnt.

Das in Südafrika die „Ola“ gegen den Uhrzeigersinn läuft (wie sonst nirgends auf der Welt) und „Eswejnstejger“ (El Clarin) früher Skirennkäufer war (was zu besichtigen uns gefreut hat, nur ohne Schnee) und Argentinische Köche sich übertreffen in Empfehlungen, wie Paul, der Oktopus denn nun zuzubereiten sei, und das in Tuttlingen (wo meine Frau von wech kommt) ein 18-Tonner mit Bierbänken auf der Ladefläche samt feiernden Gästen im Korso angehalten und summarisch bestraft worden ist, weil die Anwesenden nicht angeschnallt waren, und das wir seit 1978 keine Halbzeitführung mehr abgegeben haben, und das nur noch 2 von 5 Weltmeistern (aller Zeiten) im Rennen sind, und das Müller auf die Frage, wie es denn bei ihm zuhause wohl zugehen würde geantwortet hat „bedröppelte Mienen, schlechtes Wetter und kein Grillfleisch“ hat die Dame wahrscheinlich nicht wahrgenommen.
Aber das das ZDF 89,6% Marktanteil hatte, das wusste sie bestimmt oder hat sich später darüber gefreut. In gedämpft Himbeer – obwohl die Totalversager Schäuble und Kauder ihr geraten haben, nicht zu fliegen. Anfänger. Der eine behindert, der andere im Rollstuhl.
Ach so, ja: Bayern hat das härteste Nichtrauchergesetz Europas durchgedrückt, weil die Raucher alle im Biergarten saßen (rauchend) und den institutionell Versicherten wird jetzt 15,5% ihres sauer verdienten Geldes für die künstlichen Hüften derer abgeknöpft, die noch eine ordentliche Rente auf Mallorca versaufen um dann vorzeitig zu sterben.
En passant.
Chapeau!

R.L.

Es geht auch ohne!

Halbfinale naht, und da ist es Zeit, ein paar Bemerkungen zum Thema Vuvuzela loszuwerden:

Nach dem grandiosen, traumhaften Argentinien-Spiel streife ich durch die Stadt – und plötzlich hinter mir ein Krach, ein Klanginferno, das alles vuvzelhafte in den Status eines Streichquartetts verschiebt. Ein Junge mit einem Megaphon, das trommelfellzerfetzend irgend einen Fangesang chipgeneriert in meine und meiner Mitflaneure Ohren kreischt. Sofort drehe ich mich um und brülle ihn an: „Kannst Du nicht Vuvuzela blasen wie alle anderen auch!“ Seine Eltern, fünf Meter dahinter, kringeln sich vor Lachen (Glück gehabt: zeitgenössische Eltern sind im Durchschnitt so humorvoll wie U.S.-amerikanische Militärroboter). Der Junge schaut mich fragend an, dann aber, nach eingehendem Studium meines Blix, entspannende Erkenntnis: Er hat begriffen, was das ist, Humor – und schwenkt mit seinem Megafon ein Hallo herüber.

Aber was, wenn Vuvuzela kapuut und Halbfinale nah? Heute Mittag erreicht mich dazu eine eMail einer lieben Freundin und begnadeten Ökotrophologin: In diesem Falle einen Salat aus frischen grünen Paprika, Zwiebeln, ausgewachsenem Knoblauch mit Linsen (die aber maximal 15 min geköchelt haben dürfen); das Ganze mit einer Handvoll ungeschälten BIO-Mandeln in Olivenöl anbraten (nach Belieben würzen) UND DANN möglichst gestresst circa eine Stunde vor dem Spiel verzehren: Bläst während des Spiels alles weg, der Sound soll unvergleichlich sein und kein Mensch wird dich hinterher darauf ansprechen, dass du wieder deine Vuvuzela vergessen hast.

Wieso geht mir seit Sonntag immer dieser Song von Blumfeld durch den Kopf: „Die Diktatur der Angepassten“?

Volksentscheid in Bayern zur Raucherdiskriminierung (und -inkriminierung): Versuchen wir es für‘s erste in kurzer Form, weil: ein so vielschichtiges und zeichenhaftes Eriegnis uns zwangsläufig noch länger beschäftigen wird und mit all seinen kulturellen, politischen, sozialen Implikationen in einem Beitrag eh nicht zu erschlagen sein wird.

Den 4. Juli (!!!!) mit seinem vorhersehbaren Ergebnis sollte man sich allein schon deshalb merken, weil hier vorgeführt wurde, wie es freundlich geschätzten 15% der Wahlberechtigten gelungen ist, eine deutlich größere Gruppe der Bevölkerung zu kujonieren (einen Begriff, den wir in diesem Zusammenhang gerne von Heribert Prantl übernehmen, den wir schon längst nicht mehr mit der Süddeutschen Zeitung identifizieren können, sondern nur noch mit ihm selbst), in ihre Lebenswelt und ihre Alltagskultur einzumacheten – und scheinbar en passant ein gewichtiges Indiz dafür abzuliefern, dass die sogenannte direkte Demokratie als Heilmittel für die Defizite des Parteiensystems Risiken und Nebenwirkungen bereithält, die in mindestens so fetten Lettern auf den Beipackzettel des real existierenden Staatswesens gedruckt gehören wie die der EU-Menetekel auf den Zigarettenschachteln.

Vor allen anderen Überlegungen muss allerderings festgestellt werden, dass sich die bayerischen Raucher bei dieser Abstimmung mehrheitlich selten dämlich – nämlich wahlenthaltsam – angestellt (also eben: nicht angestellt) haben. Immerhin haben sie mit dieser denkwürdigen Wahl-Abstinenz dem Begriff „Passiv-Raucher“ eine völlig neue Bedeutung verliehen.

Alles weitere an der Geschichte, ist dann aber schon ziemlich ernst und wird sogar bitter ernst durch die Beobachtung, dass kaum jemand in der Lage und/oder willens zu sein scheint, die Zeichen zu deuten:

So hat sich offenkundig unter den Gegnern ebenso wie unter den hysterischen Befürwortern des Volxendsschei’s kaum jemand ernsthaft den Text einmal näher angeschaut, der ab 1. August GESETZ werden wird. Denksportinterssierte, Logiker und Verfassungsrechtler sollten das mal anstelle des morgendlichen Sudokus tun (wir werden darauf demnächst eingehen und sind gespannt auf Hinweise.)

Was schwer wiegt und offenkundig keine Sau interessiert, ist angesichts des zur Abstimmung vorgelegten Gesetzes der Umgang mit einem (Gedanken-)Gut, das sich in demokratischen Rechtsstaaten (und auch in nicht-demokratischn historischen Gemeinwesen)  hinsichtlich des sozialen Friedens und allgemeinen Gerechtigkeitsempfindens als äußerst wohltuend erwiesen hat: Es ist dies das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das hier auf eine Art mit Füßen getreten wird, die für denkbare (und anstehende) andere Fälle nichts Gutes erwarten lässt. Denn was diese Initiative letztlich durchgesetzt hat, ist zu verbieten, dass andere (deren Verhalten einen ganz allgemein und unspezifisch „stört“) auch da, wo man als Gestörter nicht ist, mit freiem Willen unter- und miteinander anders sein können. Strukturell wird mit diesem Volksentscheid der Geist früh- und pseudoaufklärerischenTerrors demokratisch legitimiert. Entmündigung. Entrechtung. Freigabe zum Abschuss mit Fürsorgeargumenten.

Selten wurde in der Geschichte der Bundesrepublik ein Konflikt so polarisierend und unter Verhinderung jeglichen rationalen Diskurses ausgefochten. In der Causa „Nichtraucherschutz“ sind die „Richtigen“ so „richtig“, dass jedes Foul gegen die „Falschen“ subjektiv und innerhalb der eigenen Gruppe als Akt der Menschheitsbeglückung gewertet werden kann. Endlich kann man sich in der Ortsgruppe der GRÜNEN (in der ÖDP sowieso) so richtig einfühlen, wie es ist, ein politisch korrekter Taliban zu sein. Geil???—!!!!–?? Mich friert schon jetzt im Juli, nicht erst im Januar, an der Ecke, wo dann früher meine Lieblingskneipe gewesen sein wird.

Made in Germany.

Sehr viel deutlicher kann Organisation nicht über motivatorisches Geschwurbel triumphieren. Die neuen Deutschen Tugenden heissen – man glaubt es kaum – Coolness, Technik, Unbekümmertheit und Selbstbewusstsein. Danke, das wir das erleben durften. Das Sommermärchen 2010 ist ein Paradigmenwechsel: Wo tumbe Kräfte walten macht sich eine Leichtigkeit breit, die so herzerfrischend positiv gestimmt ist, daß man Kohl’s Enkelin nur gratulieren kann für ihren Instinkt. Sie wird das Debakel der Präsidentenwahl einfach aussenpolitisch und mit einem roten Sacko wegbügeln … und dann in den Urlaub fahren. Schlaues Mädchen.

Kein Gegner sieht so aus als könnte er uns schlagen. Und das ist möglicherweise – dem werten Kollegen folgend – ein Indiz dafür, dass Deutschland vielleicht doch nicht so schlecht ist (not in Soccer, stupid!), sondern in Punkto Ansatz, Hintergrund und Gelassenheit. Dann bin ich auch bereit, in den Taumel einzufallen und aus vollem Halse „Schlaaaand!“ zu singen.

Das wird noch lustig. Mein Gott was haben die Politiker nur für ein Glück.

E nao deu.

Es gibt keinen Gott. Das haben die Brasilianer und ihre fundamentalistischen Erweckungsjünger heute ebenso erfahren, wie die allzu sorglos mit überirdischen Fingerzeigen umgehenden Ghanaer.

Und um den Gedanken des werten Kollegen weiterzuführen: wenn Rückschlüsse auf nationale Befindlichkeiten mittels Fussball bzw. dem Auftritt auf der weltgrößten Bühne desselben erlaubt sind, dann wäre die FIFA so etwas wie die Katholische Kirche. Zunächst einmal wegen des störrischen Beharrens auf Deutungshoheit; und einem Hang zur Unfehlbarkeit, verbunden mit obstinaten territorialen Ansprüchen. Ich erkläre mich: technische Hilfsmittel zur Herbeiführung objektiverer Entscheidungen werden behandelt wie Kondome in der Diaspora. Die Obrigkeit weiss ganz genau, daß ihnen die Schäfchen wegsterben, sollten sie nicht einlenken, befürchten aber den Autoritätsverlust derartig, dass der Erzbischof – betrübt und kopfschüttelnd – schliesslich entscheidet: „Lasst die Hexe noch ein wenig schmoren; wir verbrennen sie später“.

Auch die Einmischung der Politik – die in der causa francia ernsthafte soziopolitische Hintergründe hat – wird nicht geduldet und mit Hinweiß auf die Verbandssatzung selbst auf präsidialer Ebene gerüffelt. Kein Problem für die Franzosen. Sie werden einen Untersuchungsausschuß berufen, der a) alles untersucht um dann b) festzustellen, dass ebendiese Untersuchung leider illegal war. Zeitgleich und deshalb höchstens mit einer Entschädigungszahlung an die Blattern verbunden. Beides die Politik der „Bibliothek der 4 Winde“ gewissermassen: „Kein Problem, kommen sie rein, suchen Sie sich ein Buch raus, wir wissen nur nicht, wo es steht.“

Und was die sich penetrant bekreuzigenden Erweckungsjünger angeht, gilt nach dem Motto „vorne beten, hinten treten“ folgerichtig, dass die Dungas leider auch zum entlarvten Kreis (s.u.) derer gehören, die auf der verknöcherten Basis globalisierter Erfolgsrezepte keine neuen Impulse (und Talente) zulassen, die sich dem Diktat der Effizienz verweigern („Guter Fussball ist, wenn man ihn gewinnt“). Die schöne neue Fussballwelt ist eine Firma; Ihre Manager sind Typen wie Mourinho und Platini oder auch Frau Schaeffler. Sie werden ebenso scheitern wie die Kirche, denn E nao deu. Macht aber nix, denn sie werden dabei unermesslich reich und geniessen ihren Misserfolg bestimmt irgendwo, wo WIR nicht sind.

Den tendenziell klischeehaften Gedankengängen folgend bleibt anzumerken, dass sich die historische Chance bietet, Deutschland als aufgeklärtes, zukunftsorientiertes Multikulti-Kollektiv zu präsentieren und darzustellen, daß auf dem Humus missgelaunter Spießigkeit lustige, weltoffene, unbekümmerte, ja, verspielte Ranken sprießen können. Leider geht dieses Experiment ausgerechnet gegen die vorletzten Schwärmer, die irrationalen Stolzgockel und dröhnenden Einwanderungsfaschisten mit dem Hang zur Selbstzerstörung. Ehrlich gesagt hätte ich gerne ein anderes Opfer gehabt. Nix für ungut, aber die hau‘ ma weg.

Ja, ich weiß, schon lange nicht mehr geschrieben. Die Laune war zu schlecht dafür und die Spiele auch. Wie sagte doch ein guter Freund gestern zu mir? „Aktiome sterben, Kulturen sterben, Geschichte stirbt, Politik stirbt, Menschen auch – aber gute Manieren sterben nie.“

WM Zwischenbilanz (Teil I)

Wow! So ein fußballfreier Tag während der WM eröffnet freien Raum in Hülle und Fülle. Spielen wir also mal einen Pass in die Tiefe.

Unter altgedienten Beobachtern des internationalen Fußballs ist ja die Annahme weit verbreitet, Auftreten und Spielweise von Nationalteams verrieten einiges über den Zustand ihres Herkunftslandes. Wenn wir nun mal so tun, als sei diese Hypothese zutreffend (für Popperianer: bisher trotz heftiger Bemühungen wissenschaftlicher Art noch nicht falsifiziert), was ergäben sich dann für Folgerungen angesichts der bisherigen Spiele…

…etwa hinsichtlich des Auftritts von ITALIEN…?!!!!! Angetreten mit völliger Selbstüberschätzung und der klassischen Mischung aus Arroganz, Zynismus, Pragmatismus, was aber alles nicht mehr trägt. Auch ein Aufbäumen in letzter Minute, Trotz und Stolz, hilft da nichts mehr – es war einfach zu spät. Ob ein Land, das zum wiederholten Mal einen Typen wie Berlusconi gewählt hat, dessen Hauptidentifikationsangebot für viele Italiener darin besteht, dass er genauso bauernschlau und verschlagen, „furbo“ ist, wie sie es selbst gerne sein möchten, sich in absehbarer Zeit wird aufrappeln können, ist nicht sehr wahrscheinlich. Italien, früher Sehnsuchtsort aller, die die Schönheit lieben, hat schon seit geraumer Zeit kaum etwas versäumt, um seinem Fußball und seinem Land die Schönheit auszutreiben.
Kommt hinzu, dass man auch hier (und nicht nur hier!) die Jungen und die Wilden ausgesperrt und dem Festkrallen an alten Erfolgsrezepten geopfert hat – was im Fußball dann offenkundig doch rascher bestraft wird als im „wirklichen Leben“.
Marcel Reif kommentierte zum Gewinn der WM 2006 durch die Italiener sinngemäß: „Man darf so spielen; und die anderen müssen sich überlegen, wie sie darauf reagieren“. Nun steht fest: Man darf – leider – so spielen, aber man sollte nicht hoffen, damit auf ewig durchzukommen. Die Erkenntnis sollten sich nicht nur Fußballtrainer hinter die Ohren schreiben.

GRIECHENLAND war auch dabei. Es ist ja so, dass der Mensch den vermeintlich Kleinen und Schwachen (trotz Europameisterschaft 2004) den gleichen Mist eher verzeiht als den Arrivierten. Aber diesmal gab‘s nichts zu verzeihen, eher zu ignorieren. Auch hier wieder: Sture alte Männer sitzen auf ihren Pfründen, weigern sich umzudenken, halten die Jungen und Wilden raus, setzen auf ihre mittelalterlichen Gefolgsleute, wollen auf keinen Fall einen Fehler machen (das ist natürlich schon der größte von allen) und – scheitern.
Auf die Tatsache, dass Otto der Rehakles ein deutscher Export ist, müssen wir später noch eingehen. Was die Aussagekraft des Auftretens der griechischen Mannschaft im Hinblick auf den Zustand des Landes angeht, scheint die o.g. Hypothese jedenfalls plausibel zu sein.

Aber was folgt nun eigentlich aus der Vorstellung FRANKREICHs? Ein externer Kommentator der Süddeutschen Zeitung meinte dazu, man könne an dieser Geschichte erkennen, dass die Franzosen eben eine unverminderte Affinität zu Revolutionen hätten. Na ja, das wird aber dann eher eine etwas pathetische Affinität sein, sozusagen eine implodierende Revolution hinter den Kulissen: gegen eine echt geile Revolution (auch eine scheiternde) hätten wir jedenfalls nichts gehabt, wenn sie AUF DEM PLATZ stattgefunden hätte – dachte ich zunächst. Aber, vielleicht ist ja dieser ganze französische Zirkus starkes, wahres Theater gewesen. Das Stück spielte damit, dass die Zuschauer glauben sollten, die (Schau)Spieler stritten sich hinter den Kulissen mit dem Regisseur (und mit der Inspezientin und eigentlich mit dem Intendanten!) und würden nicht bemerken, dass sich mittlerweile der Vorhang gehoben hat und nun das ganze Schlammasell für alle Zuschauer sichtbar wird. Als sie nun das Publikum bemerken, streuen sie pflichtgemäß hier und da Textpassagen aus dem angekündigten Stück ein, führen aber den Hinterbühnenstreit derweil weiter fort. Die Mehrheit der Zuschauer fühlt sich geprellt, aber Eingeweihte und Kenner realisieren, dass hier großes, revolutionäres Theater aufgeführt wird: Ein Menetekelstück, scheinbar närrisch, aber von weitreichender Subtilität: Denn was die französische Nationalmannschaft mit diesem Stück erreicht hat, ist den wunderbar gewebten Gobelin herunterzureißen, den Frankreich zwischen sich und die Welt gehängt hat, damit der kleine President und seine schöne Frau davor auftreten können. In Wirklichkeit, so zeigt das Stück der „Bleus“ (und eben nicht der „Blöd“, wie die BILD meinte), gärt es in Frankreich, gibt es eine Menge ernsthafter und gefährlicher Konflikte zwischen ethnische und sozialen Gruppen aufzuarbeiten, gilt es vor allem aufzubegehren gegen verknöcherte Autoritäten, zentralistischen Steuerungswahn, die alte Ile de France-Arroganz undundund. So nutzt man den Fußball zur globalen Kommunikation, schlägt dem Blatter ein Schnippchen, und definiert endlich Profitum um – ein wahrer Profi ist eben KEIN perfekter Sklave (das wäre die Profidefinition von Managern), sondern ein Mensch, der es schafft, aus seiner Position heraus im richtigen Moment etwas Bedeutendes zu tun (auch: zu äußern). Eindeutig die politischste Mannschaft des Turniers, bravo, jeanbrasse.

Ob PORTUGAL aus diesem Turnier lernt, dass man mit der ganzen Macho-Scheiße heute einfach keinen Blumentopf mehr gewinnen kann? Schon das Getrete mit der alten Kolonie Brasilien war mehr als öde. Dass ich das Scheitern des Schönlings Ronaldo mit unverhohlener Genugtuung quittiere, ist das nun meine Schuld oder die von Real Madrid, der Werbeindustrie und Ronaldonarziss persönlich? Außerdem muss man kein Republikaner sein, wenn man sich jeden Vergleich von Ronaldo beim Freistoß mit John Wayne verbittet. Nach wie vor steht der Befund: Portugal hat der Welt den Fado gebracht (den wird sie auch dringend brauchen) und ein Mariza-Konzert schlägt jeden Auftritt dieser Nationalmannschaft um Längen.

Rätselhaft dagegen die SPANIER. Ist eigentlich schon mal jemand aufgefallen, dass die Spanier genauso spielen wie die HOLLÄNDER, nur ohne Robben? Merkwürdig: Auf den Satellitenbildern schauen ja auch weite Regionen SPANIENS genauso aus wie HOLLANDS (mit dem Unterschied, dass, wo in Holland GLAS verwendet wird, in Spanien PLASTIKplanen vorherrschen). Gibt es etwa einen übergreifenden GEWÄCHSHAUSGEMÜSEFUSSBALLSTIL??-!!!!-? Schaut auf den ersten Blick makellos aus, ist glatt poliert, aber ohne Aroma, Geschmack, Vitamine, sortenreine EU-SCHEISSE, also supererfolgreich (auch weil: subventioniert), aber ohne Schönheit, ohne Charakter, ohne (lebenswerte) Zukunft? Sind die Spanier die Holländer des Südens? Keine Ahnung: Ich will mich dazu garnicht äußern. Aber merkwürdig ist es schon…

Bleiben wir für heute in EUROPA und da ist ja dann u.a noch DEUTSCHLAND. Und jetzt muss doch kurz nochmal erinnert werden an die Ausgangsidee dieses Beitrags: Es gibt eine Hypothese, nach der das Auftreten und der Spiel-Stil einer Nationalmannschaft massenhaft Rückschlüsse zulassen auf den Zustand der von ihr repräsentierten Nation: auf soziale, kulturelle, politische, wirtschaftliche Trends, Entwicklungen, Mentalitäten. Fußball als Orakel quasi, nur viel deutlicher, Tacheles-Orakel sozusagen. Und dann also diese Nationalmannschaft, diese Spiele. Und da hätte ich ehrlich gesagt schon gerne, dass diese Hypothese stimmt. Weil: Dann wären wir um Klassen, Klassen besser, als es unsere Regierung ist und unsere Etablierten vermuten lassen. Dann wären wir eine Gesellschaft, die Komplexität organiseren kann, ohne die wichtigsten Ressourcen auszugrenzen (zum Beispiel: die Jungen und die Wilden und die Erfahrenen und die Zugereisten!). Dann wären wir eine integrative Kultur, die verschiedene Stile und Herkünfte zusammenbringen kann (und zwar: nicht planlos, aber auch nicht diktatorisch autoritär). Dann wären wir eine Kultur, der gemeinsame Entwicklung und Entfaltung von Begabungen wichtiger ist als Misserfolgsverhinderung. Dann wäre es logisch, dass wir einen Rehagel ziehen lassen, weil er bei uns nicht mehr reinpasst. Dann wären wir selbstbewusst, ohne arrogant zu sein. Dann könnte man sich ein Vorbild an uns nehmen, ohne dass wir denken müsste, man schaue zu uns auf. (Dass die englische/britische Presse trotz dieses inversen Wembley-Tores konstatiert hat, dass wir den besseren, jüngeren, frischeren Fußball gespielt haben – neidlos – anerkannt hat ist doch eine positive Überraschung! ENGLAND also: erst verknöchert, altbacken, altmodisch, aber auch positiv traditionell, wenn es um Fiarplay und Sportmanship geht – und jetzt vielleicht sogar lernfähig und wer weiß, vielleicht werden sie sich sogar demnächst wieder an Locke und Hume erinnern, während den Italieniern immer nur Machiavelli einzufallen scheint. )

Deutschland ausgerechnet scheint zu versuchen, um Effektivität und Ordnung einerseits, Spiel und Schönheit andereseits zu verbinden. Ausgerechnet Deutschland kann jetzt auch verlieren, ohne danach Katzenjammer verspüren zu müssen. Deutschland hat sich auf den Weg gemacht und erntet dafür Anerkennung im Inland wie im Ausland. Sehr merkwürdig… Vielleicht gibt es ja (wieder einmal) zwei Deutschland: Das eine, das gerade mit Hängen und Würgen einen Parteihansel von Parteihanseln hat zum Bundespräsidenten wählen lassen, ohne irgend ein Gespür für Würde, für die Stimmung im Lande, für das, was Demokratie lebendig und manchmal sogar schön erscheinen lassen könnte – und das andere Deutschland, das bei allen Schwächen und Defiziten, die man alltäglich beobachten kann, doch aus vielen Menschen besteht, die sich etwas Besseres vorstellen können, die Besseres durchaus zu schätzen wissen – etwa das Gegenmodell, das die Nationalmannschaft gerade vorführt: Vielleicht ist ja diese Mannschaft durchaus auch „politisch“ – nicht so absurd konsequent und revolutionär wie die der Franzosen, aber immerhin.

hs