Kleist & Kleister.

Schlaflos ob der Unfähigkeit, einen auflagenstarken Artikel über meine Mutter und ihr Pflege-Szenario in der Münchner „AZ“ von heute richtig einzuordnen, frage ich mich, ob die Veröffentlichung einer derart intimen Konstellation nun hilfreicher für die Leser oder für die Zeitung ist. Oder gar für die, die es dem breiten Publikum anheimgestellt haben.

Vielleicht stellt sich die Frage auch gar nicht, und H.v. Kleists „Verfertigung der Gedanken beim Reden“ greift in diesem Falle einfach öffentlichkeitswirksam für die Promotion eines ebenso gangbaren wie sinnvollen Modells dafür, wie wir – sofern privilegiert – mit unseren „Alten“ umgehen sollten, wenn wir ihnen das eigene Zuhause erhalten wollen. Oder ist es eben doch eher Kleister für eine Wunde, die ebenso im persönlichen, hilflosen Umgang mit der Hilflosigkeit (sic!) fusst, wie es eine PR-Salbe für die soziale Perspektivlosigleit staatlicher Ohnmacht im Angesicht einer wachsenden Schar von Bedürftigen jenseits der Bedürftigkeit (sic!) darstellt.

Anders ausgedrückt: wer hilft hier wem ? Und wenn es denn privat ist und bezahlt wird, sollte es dann nicht privat bleiben?

Cherchez la mère.

R.

AZ, 140203

Jeff, ich heiße Jeff.

Natürlich hat nie jemand spät des Nachts diese Fremdgeh‘-Werbung gesehen. Man(n) fragt sich allerdings, warum sie dann noch in solcher Penetranz geschaltet wird. Im Einzelhandel ist das anders. Da machen es die Amazonen vor: Jeff ist Jeff und der weiss, wo’s langgeht. In jedem Raum ein Flittchen und eine sogar in Handschellen. Alle unterwürfig dem Bezos-Typen nachschmachtend wie die einsame Hausfrau dem muskulösen UPS-Sklaven.

Aaaber: vor Jeff kommt Götz. Nicht der von Berlichingen, der Werner ist’s. Obgleich der – wider seines anthroposophischen Naturells – jetzt gerne das berühmte Zitat bemühen würde um die Menschenfeindlichkeit des Großlogistikers in die ewigen Abgründe breiter, freundlich beleuchteter dm-Gänge zu verfluchen. 1 und 2, dm und Amazon, so ist die Reihenfolge der Beliebtheit der Händler der Deutschen. Das lässt tief blicken, sagt Freund Freud und wendet sich, pfeiferauchend („alles ein einziger Mutterkomplex!“) von der Couch ab.

In der Tat sind die Gegensätze von  athmosphärischem Menscheln und gnadenloser Effizienz, von bedingungslosem Grundeinkommen und maximaler Gewinnorientierung, von Kundenfreundlichem … uuups. Da isses.

Viel Spass beim Einkauf, da wie dort.

R.

Syndrom.

Ich will ja nicht gleich vom Greystoke-Syndrom reden. Aber der Effekt des plötzlichen Eingesperrtseins hinter Glas und Mauern ist doch erheblich. Zumal rauchen bei diesen Temperaturen nur noch „intramureaux“ – mithin nur „zuhause“ – möglich ist. Was kein Vergnügen bedeutet, denn Heizungsluft, geringe Luftfeuchtigkeit und permanent-immanente Lüfterei verwandeln das ehemals lustvolle Qualmen im Cambo-Café (oder fast jedwedem Kambodschanischen ort) in eine suchtgetriebene Logistikleistung.

Auch sind das Fehlen von Durchlässen, also der Mangel an Durchblicken und die Verstopfung von Zugängen einer Sequestrierung gleichzusetzen. Denn wenn man dauernd an der frischen Luft war, ist alles andere nichts. Wenn die sogenannte nur über 20°C liegt. Frisch ist sie selten, aber da.

Dann noch die Offenheit. Sicher hat es genervt, wenn eine(r) wieder lautlos die Treppe ohne Gefühl für die Privatsphäre hochgeschlichen ist; aber die Vorstellung, hier eine Tür sperrangelweit offen zu lassen resultiert in Visionen von Menschen, die sich die Köppe einschlagen. Also lieber zu. s.o.

Zuletzt noch etwas über öffentliche Räume: sie sind ebenso klaustrophobisch wie kalkuliert. Wir werden (bzw. unser Geld oder unser Anliegen) nicht nur plangemäß durchgeschleust, sondern das auch noch in einer möglichst geringen Zeit. Hilft dabei, Quadratmeter pro Gastvolumen zu sparen.

Die Marktfrau unter diesem Text ist also gewissermaßen eine Millionärin ohne es zu wissen. Und was gäbe sie nicht dafür, so leben zu dürfen wie wir: mit einer Heisswasserdusche, die einem fast die Haut vom Körper pellt; mit einer Wohnung, die man nicht offen stehen lassen kann, und mit Nachbarn, deren Namen man nicht kennt.

Aber immer Strom.

small business

 

Compte à rebours.

So langsam, schleichend fast, wie das Wetter kälter wird, beginne ich rückwärts zu zählen. Projekte werden überdacht, erste Fazite gezogen und manche handfeste Realität mutiert fast unmerklich zu einer embryonalen Erinnerung. Das sind Geschichten im werden. Erfahrungen, die kristallisieren und Gedanken, die sich in Niederschlag verwandeln.

Trotz hartnäckiger Halsstarre stelle ich fest, dass mein Blickwinkel weiter geworden ist, dass „Kopf in‘ Nacken“ auch bedeutet, dass die Sterne mir vertrauter werden und die Menschen mir mehr ans Herz gewachsen sind selbst als Ihre Aktivitäten, die ich teils unterstütze, teils initiiert habe. Vieles, was begonnen wurde wird über das Anfangsstadium nicht hinauskommen. Jedoch das grämt mich wenig, wenn die Akteure daran gewachsen sind. Einiges ist vielversprechend und hat den Rubicon der Machbarkeit überschritten. Bei näherem Hinsehen – wie es so ein „compte à rebours“ mit sich bringt – überwiegen die Erfolge. Das beruhigt, zaubert lächeln in Gesichter und bringt den einen oder anderen Schulterklopfer ein, den man dringend brauchen kann, wenn man Monate niemanden berührt hat. Ausser mit Ideen, Begeisterung und lautstarkem Schwadronieren versteht sich.

Und nach „Barang“ (Fremder), „Allemong“ (oder gar „anglais“) über „Gru“ (Teacher) und „Sir Sorya“ nunmehr intern (also nur unter Khmer) „the voice/die Stimme“ genannt zu werden ist ja doch so etwas wie ein Fortschritt. Eine Kenntnis, die ich einer Indiskretion nach 3 Bieren zu verdanken habe, die mich aber mit tiefer Genugtuung und ein wenig Furcht erfüllt.

Natürlich ist meine Frau an allem Schuld. Würde sie nicht bald kommen, fiele mir nicht im Traum ein, hier summarisch zu werden. Da sie es aber gewohnt ist, in aufgeräumte Wohnungen einzuschweben, wollte ich sie nicht enttäuschen und habe schonmal mit dem Hausputz angefangen.

The Secret Lake – gefunden in der Nähe von Kampot

Reihern.

Nun ist die Kombination von Neujahrskater, Zähneputzen und Stützbier nicht gerade die günstigste. Und eine Schlange am Spieß hat noch den härtesten weich gemacht. Als allerdings mein Nachbar meinte, das tote Tier soweit auswalken zu müssen, dass seine Exkremente (als Delikatesse versteht sich) in den Teller träufelten, spie ich in hohem Bogen quer durchs Lokal – zum Glück an allen vorbei. Schaden: 1 Dollar. Und 2 Monate Image als hartgesottene Barang-Ratte. Unbezahlbar. Prost Neujahr.

So eine. Nur aufgeringelt am Spiess natürlich.

Leider kein Fotobeweis. Reihern und fotografieren passen nicht zusammen.

 

2013.

Da sind wir wieder. Ein neues Jahr ist ja schon sowas von was neues, also da könnte man fast ins Schwärmen kommen. So ein Sonnenaufgang genau wenn die anderen zuhause sich gerade zuprosten und meinen sie hätten was Neues ganz für sich und so …

Nein, ich werde jetzt nicht über die Relativität von Zeit schreiben (obwohl das ein unerschöpfliches Thema ist), aber darüber, das die BESONDERHEIT etwas relatives ist. Was, genau betrachtet, schon wieder nichts besonderes ist. Denn das Besondere ist in uns. Wenn wir es tun oder davon erfahren. In diesem Moment. Heute oder morgen.Zum Beispiel wenn jemand dieses hier liest. Also völlig relativ. Will sagen, dass wir uns vielleicht, statt mit dem Rauchen aufzuhören, für 2013 vornehmen sollten, das Besondere immer und jederzeit zu würdigen. Nur dann ist die Menschheit zu ertragen.

Das war’s schon. Ist aber genau betrachtet eine Menge Arbeit. Und Gastfreundschaft. Geistig und sonstwie. Möget Ihr immer gastfreundlich bleiben. In Eueren Behausungen, Küchen und Hirnen.

Love is the key.

Und keiner der untenstehenden Vorsätze meiner.

Augenpipi.

Als ich gestern meinen Weihnachtsbrief an die Familie schrieb, übermannten mich die Gefühle und ich musste weinen. Der kleine Sua sah mich schniefen und rannte heulend in die Küche der Hundeschlächter, die seine Eltern sind. Khang-Thoeun, seine Mutter, bereits geschminkt und in vollem Ornat für den Hochzeitsbesuch setzte sich darauf hin neben mich und ruinierte würdevoll ihr teueres Make-up. Das muss Thean mitbekommen haben, der im vorbeifahren auf seinem Moped nicht viel mehr gesehen haben kann, als dass wir zum Taschentuch greifen. In halsbrecherischer Parabel ändert er seine Laufbahn um 180 Grad, fährt mitten ins Lokal ein, setzt sich dazu und heult ’ne Runde mit.

Es wurde nicht ein Wort gewechselt.

Erstaunliches Völkchen.

Fröhliche Weih(n)nacht.

Markhmerting.

Auf dem Lande

Ob es eine gute Idée ist, sein vegetarisches Restaurant „Rambo“ zu nennen (inkl. großem Leuchtbild mit Killerblick und Buckknife zwischen den Zähnen)?

Ob es Kunden bringt, ein großes Schild aufzustellen, auf dem steht „The very cheapest forever in Cambodia“ – ohne das klar wird, um was es sich eigentlich handelt? Ob es clever ist, eine „whitening cream“, die die Haut auf recht brutale Weise aber langsam genug ausbleicht, um mindestens noch ein, zwei Jahre ohne Hautkrebs abkassieren zu können, „Kittmann Nicol“ zu taufen? Ob es witzig ist, als junges Paar auf einer Parkbank laut khmer bellend mit Colaflaschen zu telefonieren? Tv-spots zu produzieren, in denen der Rocksaum der jungen Hausfrau wieder 5cm kürzer ist, als erlaubt oder sich Kinder wegen einer Süßigkeit auf die Fresse geben? Oder ermüdend, kein einziges Produkt ohne Gewinnspiel im TV platzieren zu können – im Umfeld einer indischen endlos-soap natürlich? Kein Schriftstück, Schild, Slogan, Aufsteller, Menu, Leaflet, Etikett ohne krasse Rechtschreib- und Grammatik-Fehler hinzubekommen?

Ich könnte ewig weitermachen, aber ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr. Denn wo das Abstruse auf das Verquere trifft, und die Ästhetik anderen Regeln (oder keinen) folgt, da treiben die Zeichensätze Blüten, die wir Barangs nur erahnen, kaum jedoch erschnüffeln können.

PS: das klassische, powerbrand-driven TV- und Outdoor advertising sind dann wieder die üblichen Verdächtigen aus der Telco-, Car-, Cosmetics- und Food-Branche (Unilever ganz vorne). Und die überlassen nichts dem Zufall. Der zuständige PM oder Brand Director will ja schliesslich weiter nach oben, da wo die Luft so schön dünn ist, die Häuser fett, die Frauen mager und die Männer noch so richtig mit ihren Karren angeben können.

Schpiel.

Oben rechts

Sie werden Zeugen eines kleinen Geschlechterrollenspieles à la cambodgienne: die junge Dame verteilt nonchalant (teueres) Shampoo auf den Kies am Straßenrand, worauf der Lütte, in gebückter Haltung hinter ihr her kriechend, den derart benetzten Belag mit seiner stiellosen Kehrichtschaufel aufsammelt und ihr dann – vor Anstrengung keuchend – stolz präsentiert. Sie träufelt neckisch noch etwas darauf, nickt zufrieden und es geht so weiter … bis die Mutter von der anderen Seite der „Nationale 2“ herüberkeift, sich ihr Moto schnappt und mit aufheulendem 1. Gang wie ein Tiger die 20 Meter überwindet, um ihrer Tochter die Shampooflasche zu entreißen. Vattern diesseits hatte gewähren lassen, bekommt die Intervention aber mit, schießt auch herbei, entwindet dem Sohnemann die Schaufel, verteilt kleine Schläge auf die Händchen … und den Kies wieder in die hinterlassene Spur. Beide Kinder stoisch ab, an mir vorbei in die hinteren Räumlichkeiten des Lokals … 2 … 3 … große Heulerei.

Ach, der Kaffée? Grossartig.

Sehr stark, sehr süß, sehr heiß (café kmauw).

À la prochaine.

 

So einfach, manchmal.

Neulich im (einzigen) Café:

Sitze nach den Einkäufen früh nachmittags mit einigen Männern herum und Sophal zeigt mir (und den anderen), welche Begriffe er in Inglish kennt. Schair, täbul, schuga, cofééé, ice. Plötzlich setzt er eine finstere Miene auf und kommt auf ein offensichtlich ernstes Thema zu sprechen.

Ich verstehe nicht, worum es geht. Der Besitzer, ganz „patron“, schnappt sich einen Stuhl, setzt sich rittlings drauf und erklärt mir das Problem. Warum das Glas, „Glas“ heisst und die Brille auch. Ich berichtige („glasses“/“sunglasses“) und versuche, das Konzept des Plurals in einem Objektbegriff zu vermitteln. Einige nicken, aber das will hier ebenso wenig heißen, wie das Lächeln. Schliesslich stehe ich auf, zeige abwechselnd auf meine Hosenbeine und fasel’ etwas von „pants“. Der Besitzer springt auf und deklamiert der Runde in Englisch und Khmer, ich hätte ja schließlich 2 Beine! Daraufhin wackel’ ich mit der linken Hand, zeige mit der rechten Drei an und sage „…sometimes three!“.

Der Brüller.

Ohne Übersetzung.

Das ganze Dorf kennt den Scherz inzwischen und seitdem klatschen mich wildfremde Männer auf der Straße ab, Frauen grinsen verschmitzt und Mopedfahrer zeigen mir im Vorbeifahren die Drei.

So einfach, manchmal.